Per Online-Spiel sollen Zuschauer den Mörder überführen. Andrang ist groß: ARD-Server brachen zusammen. Doch mögen Sie diesen neuen “Tatort“?

Das gab es noch nie in 40 Jahren "Tatort"-Geschichte: Im Fall vom Sonntagabend ("Der Wald steht schwarz und schweiget") ist der Mörder am Ende unklar, die Zuschauer werden um 21.45 Uhr ratlos zurückgelassen. Fünf jugendliche Straftäter aus einem Resozialisierungscamp stehen im Verdacht ihren Aufseher ermordet zu haben und entführen Kommissarin Lena Odenthal. Die wird natürlich befreit, doch eine Frage bleibt bis zum Ende offen: Welcher der Jugendlichen hat das Opfer umgebracht? Die Gruppe schweigt sich aus – dafür müssen die Zuschauer im Anschluss an den SWR-"Tatort" ran.

Unter tatort.de sollen sie Teil der Ermittlungen werden, können Zeugen und Verdächtige befragen und bekommen Kriminaltechniker Becker und die gute Seele des Kommissariats, Frau Keller, an die Seite gestellt. TV-Kommissarin Lena Odenthal gibt ebenfalls Hinweise und begleitet die Fortschritte der Online-Ermittler. Die sind auch aufgefordert sich über Twitter (twitter.com/tatort) und Facebook (facebook.com/Tatort) auszutauschen, um den Mörder zu finden.

+++ Von Möchtegerngangstern im Pfälzer Wald +++

Mit 8,37 Millionen Zuschauern (24,7 Prozent Marktanteil) sicherte sich der ungewöhnliche "Tatort" den Tagessieg am Sonntag. Bei den 14- und 49-Jährigen lag der Marktanteil bei ebenfalls guten 19,3 Prozent. An dem Online-Spiel beteiligten sich ab 21.45 Uhr noch 20.000 "Tatort"-Fans in der Nacht zu Montag. Der Ansturm war sogar so groß, dass kurzzeitig die Server zusammenbrachen.

SWR-Fernsehdirektor Bernhard Nellessen ist von dem neuen Format begeistert: "Es freut mich, dass auch eine Premiummarke wie der 'Tatort' neue Wege geht und dafür mit einem großen öffentlichen Interesse belohnt wird. 'Tatort+' ist ein Experiment, das zeigt, wie Medienkonvergenz möglich ist." Er kündigte an: "Wir werden weiter experimentieren."

Wann der Mörder nun gefunden wird, hängt von den Online-Spielern ab. Spätestens am kommenden Sonntag, 20. Mai, um 20.15 Uhr will die ARD den Fall aber endgültig auflösen.

Die Kritik

Von Möchtegerngangstern im Pfälzer Wald

Man plant nicht unbedingt einen Waldspaziergang nach diesem „Tatort – Der Wald steht still und schweiget“, benannt nach einer Zeile aus dem „Abendlied“ von Matthias Claudius. Ebenso wenig Steinpilzrisotto zum Abendessen, aber dazu später. Im Pfälzer Wald soll sich Lena Odenthal – eigentlich hat sie ihren freien Tag – einer Leiche annehmen, die bei ihrem Eintreffen verschwunden ist. Stattdessen wird sie von einer Bande junger Männer gefangen genommen – die Resozialisierungsmaßnahme für jugendliche Straftäter in einem Erziehungscamp ist offenbar aus dem Ruder gelaufen. Die Gruppendynamik der labilen Möchtegerngangster, die „reichlich Scheiß gebaut haben“, bestimmt fortan den Spannungsbogen: Wer nimmt den Platz ein des Truppenanführers? Wird der Fluchtversuch über die deutsch-französische Grenze gelingen? Läuft vorher einer Amok?

In düsteren Bildern und mystisch aufgeladener Stimmung erzählt Regisseur Ed Herzog diesen „Tatort“, der mehr Resozialisierungsdrama ist als Krimi und nicht zu den stärksten Produktionen des ARD-Sonntagsfilms zählt. Das Drehbuch von Dorothee Schön schenkt Ulrike Folkerts und Andreas Hoppe als Odenthal und Kopper wieder reichlich Raum, ihre Ernie-und-Bert-ähnliche Beziehung (wobei: Kopper erinnert vor allem an das Krümelmonster) auszuleben – auch wenn sie größtenteils nur per Handy kommunizieren. Kopper jedenfalls, erzählt Odenthal ihren Entführern in einem Stockholm-Syndrom-ähnlichen Moment, macht das beste Risotto nördlich der Alpen. Cremig, aber mit Biss. Schöne Steinpilze sollte Lena dafür aus dem Wald mitbringen, leider war sie zu beschäftigt damit, auf ihr Leben aufzupassen. Am Ende dampft dennoch der Reisbrei auf dem Herd, dazu fließen ein paar Tränchen. Die Zwiebeln, klar. (jac)