Die 39-jährige Anja Reschke (“Panorama“, “Zapp“) ist jetzt Jurorin beim Henri-Nannen-Preis, bei dem sich ansonsten kaum etwas geändert hat.
Hamburg. Anja Reschke weiß, worauf sie sich da eingelassen hat. Sie weiß, dass ihr Geschlecht eine Rolle gespielt haben dürfte, als Gruner + Jahr sie in die Jury des Henri-Nannen-Preises berief. Das 15-köpfige Gremium wird von männlichen Chefredakteuren dominiert. Da braucht man jede verfügbare Frau, um wenigstens auf drei weibliche Mitglieder zu kommen.
Sie weiß auch, dass ihre Prominenz der Jury Glanz verleihen soll. Zwar mögen Chefredakteure wie Peter Mathias Gaede von "Geo" oder Ulrich Reitz von der "WAZ" Branchengrößen sein. Das große Publikum kennt sie aber nicht.
Und schließlich weiß Anja Reschke, dass man, wenn es dumm läuft, als Juror des Henri-Nannen-Preises ziemlich alt aussehen kann. Vergangenes Jahr lief es richtig dumm. Da fragte während der Preisverleihung im Schauspielhaus Moderatorin Katrin Bauerfeind Reportage-Preisträger René Pfister vom "Spiegel", wie es denn in Horst Seehofers Hobbykeller so gewesen sei, den er zu Beginn seines preisgekrönten Stückes beschrieben hatte. Er sei nie dort gewesen, antwortete der Journalist. Ein Raunen ging durch den Saal. "Ich habe mich natürlich auch sehr gewundert, als ich das gehört habe", sagt Anja Reschke, die damals ebenfalls im Theater saß.
Auf die Idee, dass der von ihr ausgezeichnete Autor einen Schauplatz seiner Reportage womöglich gar nicht aufgesucht hatte, war die Jury nicht gekommen. Umso schlimmer für die Juroren, die auch keine gute Figur machten, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen war. Denn statt Selbstkritik zu üben, beschloss eine Mehrheit in einer Telefonkonferenz, Pfister den Preis wieder abzuerkennen. Das ging nicht ohne Blessuren ab: Zwei Juroren, die gegen die Aberkennung votiert hatten, zogen sich aus der Jury zurück. Beim "Spiegel" war man ernstlich verstimmt.
+++ Der beschädigte Journalistenpreis +++
Es hätte Gründe gegeben, Pfister den Preis zu lassen. Seine Schilderung des seehoferschen Hobbykellers war authentisch, was der bayerische Ministerpräsident bestätigte. Für ein Porträt, um das es sich bei dem Stück handelt, muss nach Ansicht des Doyens der deutschen Journalistenausbilder, Wolf Schneider, im Gegensatz zur klassischen Reportage der Autor nicht alle Schauplätze seiner Geschichte aufsuchen. Schneider hielt die Aberkennung des Preises für überzogen. Das Problem ist ein systemisches: Das Porträt ist im Regelwerk des Henri-Nannen-Preises eine Spielart der klassischen Reportage.
Spätestens der Fall Pfister hätte Anlass gegeben, den Preis zu reformieren. Geschehen ist so gut wie nichts. Lediglich die Kategorie "Humor" wurde abgeschafft - sehr zum Bedauern von Anja Reschke, die gern lustige Texte liest. Dass sie trotz der kaum erkennbaren Reformbereitschaft sich dem arg ramponierten Henri-Nannen-Preis als Jurorin zur Verfügung stellt, erklärt sie damit, dass es sich bei ihm ja nach wie vor um einen "der wichtigsten deutschen Journalistenpreise" handele.
Vielleicht muss man es so sehen: Wenn es eine Hoffnung für diese Jury gibt, heißt sie Anja Reschke. Sie ist, was die meisten übrigen Mitglieder nicht sind: Frau, jung, mit 39 Jahren sogar jüngste Jurorin, und unabhängig. Als freie NDR-Mitarbeiterin ist sie keine leitende Angestellte irgendeines Blattes, das womöglich selbst mit Beiträgen im Wettbewerb vertreten ist.
Vor allem aber ist Anja Reschke Journalistin und nicht nur Moderatorin von "Panorama", "Zapp" und "Wissen vor 8 - Zukunft". Sie hat beim NDR volontiert. Sie produziert eigene Beiträge. Mit einem Stück über "Politiker und die Zweitwohnungssteuer" wurde sie 2001 beim Axel-Springer-Preis Dritte.
Mehr Juroren wie die Vollblutjournalistin wären dem Henri-Nannen-Preis zu wünschen, denn er ist ja, trotz allem, immer noch eine der wichtigsten Auszeichnungen dieser Branche. Da hat Anja Reschke völlig recht.