Hamburg. Es läuft bei Sven Schelker: Am Thalia spielt er in der Dreigroschenoper seine erste Hauptrolle, im Sommer drehte er für Homeland.
Wenn ein Schauspieler nichts sagen will oder nichts sagen darf, dann ist das zunächst einmal eine eigenwillige Voraussetzung für ein Interview. Wenn es ein Schauspieler wie Sven Schelker ist, in der vierten Saison Ensemblemitglied am Thalia-Theater und mit seinen fast 26 Jahren dort immer noch einer der jüngsten in der gesamten Darstellerriege, dann ist es fast ein Ding der Unmöglichkeit. Denn Schelker spricht auch, wenn er nichts sagt: mit den Augen, mit den Händen, mit dem Körper.
Sven Schelker ist kein Ensemble-Star (wenn es so etwas im Thalia-Kollektiv des Joachim Lux überhaupt geben sollte) – und nichts wäre ihm vermutlich unangenehmer, als diesen Eindruck zu erwecken. Trotzdem ist er einer, dessen Namen man sich wird merken müssen, denn es läuft gerade gut für ihn, ausgesprochen gut. In der Sommerpause hat er für „Homeland“ gedreht, eine der derzeit weltweit angesagtesten US-Serien. Und an diesem Sonnabend wird er, nach einiger Überzeugungsarbeit in der zweiten und dritten Reihe, seine erste große Hauptrolle am Thalia spielen: den Mackie Messer in der „Dreigroschenoper“.
Schelker spielt den Mackie Messer
Antú Romero Nunes inszeniert den Brecht-Weill-Klassiker, der in seiner Kapitalismuskritik und seiner Offenlegung der Klassengesellschaft auch heute noch reichlich Auslegungsspielraum für einen Regisseur bietet. Bei Antú Romero Nunes wird auch die Figur des Autors eine markante Rolle spielen, jeder Schauspieler auf der Bühne wird – auch – Bertolt Brecht sein. Wie muss man sich das vorstellen, was bedeutet das, wenn man als Schauspieler eigentlich den Mackie Messer spielen soll?
Sven Schelker windet sich. „Das möchte ich eigentlich noch gar nicht …“ beginnt er, legt leicht den Kopf schief und schaut aus blauen Augen von unten nach oben. „Wir versuchen einen anderen Ansatz des Erzählens ... Die Figur des Autors spielt auch eine Rolle … Ich weiß gar nicht, wie viel ich da verraten möchte …“
Nun muss man wissen: Es ist ja nicht ohne, wenn ein Regisseur markante Einschnitte in einem Brecht-Text vornimmt. Anfang des Jahres haben die Brecht-Erben über den Suhrkamp-Verlag eine Inszenierung von Frank Castorf am Münchner Residenztheater einstellen lassen, weil sie nicht originalgetreu genug gewesen sei. Vor wenigen Tagen erst ist die Brecht-Tochter Barbara Brecht-Schall im Alter von 84 Jahren gestorben, sie hatte die Erben-Gemeinschaft entscheidend verwaltet. Diese „Dreigroschenoper“ könnte die erste sein, die in der Interpretation und Gestaltung freier sein darf als bislang möglich. „Der Wiedererkennungswert ist ja sowieso gegeben“, beruhigt Schelker. „Dem kann man ja gar nicht entrinnen.“ Er selbst allerdings schon: Nie hatte er zuvor das Stück gelesen, nie eine Inszenierung gesehen, auch an der Otto-Falckenberg-Schauspielschule in München keinen der Weill-Songs gesungen. „Ich bin ganz unbefleckt in die Arbeit gegangen. Ich wollte mir diesen Noch-nicht-Eindruck aus dem Probenbeginn unbedingt bewahren.“
Diese Frische, diese – im besten Sinne – Unbedarftheit kann ein großer Vorteil sein, gerade wenn man bedeutende Sätze der Bühnenliteratur zu sprechen hat, Sätze, die vor einem schon so viele andere gesagt haben, die auch im Parkett nahezu jeder mitsprechen kann. „Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ ist einer dieser Sätze. Fällt er in dieser Inszenierung überhaupt? Sven Schelker seufzt und lächelt wieder und verschränkt die Hände unter dem Tisch, rutscht mit den Schuhen, verschiebt seine Espressotasse auf dem Tisch. Und sagt erstmal wieder: nichts. Seufzt wieder. „Jaaaa …“, sagt er schließlich, es fällt ihm schwer, aber nun ist es heraus. Oder? „Ja, ich sage diesen Satz.“ Leises Lachen. „Mal gucken!“ Wuscheln durch die blonden Haare. „Wie es kommt …“ Der Wucht dieser oft zitierten Worte sei er sich durchaus bewusst. Aber, und hier spricht auch der noch junge, wunderbar begeisterungsfähige Schauspieler, „ich finde, es sind ja immer viel mehr Sätze bedeutend, als man denkt“.
Schelker liebt besonders die Proben
Seinen Regisseur Antú Romero Nunes empfindet Schelker dabei als einen guten Partner. „Er geht mit einer extrem schönen Frische und Offenheit an den Stoff, mit einer Lust an Momenten. Er ist kein Bestimmer.“ Schelker selbst ist ein Schauspieler, der an seiner Arbeit besonders die Proben liebt. „Ich mag das Ausprobieren sehr, das ist ja im Grunde auch die größte Arbeit. Ich bin ein Schauspieler, der sehr aus dem Bauch heraus agiert.“ Kompliziert im Umgang sei er wohl nicht, lächelt er, „eher einfach. Ich stelle gern vieles zur Verfügung.“
Man kann sich leicht vorstellen, wie er sich in die Arbeit hineinfallen lässt, wie er intuitiv das tut, was sonst Kindern vorbehalten ist, was aber einen beneidenswert entscheidenden Teil seines Berufes ausmacht: spielen.
Diese Fähigkeit hat ihn zuletzt auch abseits der Bühne auf einen aufregenden Weg geführt: Im Frühjahr wäre Sven Schelker um ein Haar zur Oscar-Verleihung nach Los Angeles gereist, die Schweiz hatte den Film „Der Kreis“ – den ersten Kinofilm, in dem er überhaupt gespielt hat – für den Auslands-Oscar eingereicht. Mit dem Oscar wurde es dann zwar nichts, aber seine Darstellung in „Der Kreis“ hat dafür gesorgt, dass er zur Berlinale als „European Shooting Star“ reisen durfte, dort Interviews in diversen Sprachen gab und mit internationalen Casting-Agenten zusammen gebracht wurde. „Wie ein Rausch“ sei das gewesen, „das alles kannte ich doch bisher selbst nur aus den Medien!“
Auch die Casting-Agenten der Serie „Homeland“ wurden auf Sven Schelker aufmerksam und baten um ein Bewerbungsvideo. Das hat er selbst gedreht, allein, bei sich zu Hause, mit seiner Webcam. Und sofort die Rolle bekommen. Welche Rolle? Jetzt wirft Sven Schelker die Arme in die Höhe, verzweifelt fast, er darf ja nichts sagen! Das war gewissermaßen der Erstkontakt mit der „Homeland“-Produktion: seine Unterschrift unter einen mehrseitigen Verschwiegenheitsvertrag.
Wieviele Drehtage? Lachen, Kopfschütteln. Szenen mit der Hauptdarstellerin Claire Danes? Wieder dieser Blick aus den blauen Augen. Heißt das Ja? Nein? Vielleicht? Wie ist sie denn so? Keine Chance. Sven Schelker atmet tief ein, hält die Luft an und macht ein rührend zerknirschtes Gesicht. „Im Oktober startet die fünfte Staffel“, soviel darf er sagen. Und dass er in Berlin gedreht hat, auf Englisch, und dass das alles sehr imponierend gewesen sei, die aufwendige Hollywood-Produktion im Unterschied zu dem Schweizer Filmset, den er kannte.
Er kann jetzt gar nicht mehr stillhalten, rutscht auf dem Caféstuhl hin und her, vor und zurück, fährt sich durch die Haare und über den Mund. Wieder ein Lachen. „Soll ich vielleicht lieber von meinem Urlaub erzählen?!“ ruft er entschuldigend. Und dann fällt ihm ein, ach nein, geht auch nicht, den hat es ja kaum gegeben. Drei Tage nur in diesem Sommer, davon ein Reisetag in die Schweiz. Die große Entspannung, das scheint im Moment einfach nicht Sven Schelkers Ding.
„Dreigroschenoper“ im Großen Haus:
Premiere am 12.9., 20 Uhr, am Thalia (Alstertor), U/S Jungfernstieg. Wieder am 13., 16., 24., und 25.9.
„[ungefähr gleich]“ in der Gaußstraße
Premiere am 13.9., 19 Uhr, Gaußstraße 190 (Bus M2). Karten für alle Vorstellungen: T. 32 81 44 44