Hamburg. Anja Laïs ist in der Intendanz Karin Beier eine wichtige Ensemblespielerin am Schauspielhaus. Morgen Premiere mit „Die Physiker“.

Sie trägt Jeans und rote Turnschuhe, die kurzen Haare stehen in alle Richtungen ab wie beim Pumuckl. Anja Laïs kommt direkt aus der Ensembleversammlung in die Kantine des Schauspielhauses. Wenn sie geht, schaukelt sie ganz leicht mit den Hüften, die schlanke Schauspielerin könnte auch eine 100-Meter-Läuferin sein. Gerade hat Karin Beier ihrem Team den Spielplan für die kommende Saison vorgestellt. „Komödienstadl können wir hier nicht machen. Man muss als Künstler mutiger sein, sich äußern und darauf reagieren, was außerhalb des Hauses passiert. Es bleibt wichtig, dass man sich politisch verhält“, kommentiert sie und verwuschelt sich ihre Haare noch mehr. Sonnabend, am 25. April, steht sie bei der Premiere von Dürrenmatts „Die Physiker“ als Irrenärztin Matilde von Zahnd auf der Bühne.

„Komödie ist das falsche Wort für Dürrenmatts Stück. Es ist eine hochaktuelle Groteske über Fanatismus und die Frage, ob man Erfindungen zurückhalten kann“, erklärt Laïs. „Die Rolle ist unglaublich schwer zu spielen.“ Aber Anja Laïs gehört nicht zu denen, die sich über zu harte Arbeit beklagen. Immer wieder garniert sie ihre Antworten mit einem Lachen. Wenn sie überlegt, fährt sie sich durch die Haare, in allem, was sie sagt und tut, wirkt sie geerdet. Als das Gespräch später auf ihre beiden 13 und elf Jahre alten Kinder kommt, fällt das Wort: „Sie sind ein Segen und ein Geschenk und sie erden einen.“

Von einer Selbstdarstellerin ist diese Schauspielerin weit entfernt

Die Schauspielerin, 1968 in Berlin geboren, zählt zu den Protagonistinnen am Schauspielhaus, aber von einer Selbstdarstellerin ist sie weit entfernt. „Es geht um die Aussage des Stücks und nicht darum, dass ich auf der Bühne stehe. Man steht und fällt mit dem Ensemblel.“ Weil es Karin Beier gelungen ist, am Kölner Schauspiel ein Ensemble aufzubauen, ist sie dort länger geblieben als sie eigentlich wollte und ihrer Intendantin dann nach Hamburg gefolgt. „Eine Arbeit kann erst dann richtig gut werden, wenn man seine Kollegen gut kennt. Ein guter Partner kann einen in den Himmel reißen“, sagt sie und unterstreicht den Satz mit einer Handbewegung nach oben.

Solche Partner hat sie mit Maria Schrader, Markus John und Michael Wittenborn in Yasmina Rezas Komödie „Der Gott des Gemetzels“. Das Stück um zwei sich streitende Ehepaare zählt seit acht Jahren, erst in Köln und nun in Hamburg, zu den Spielplan-Rennern. „Wir selbst fanden es bei den Endproben schon gar nicht mehr lustig. Und dann ist Premiere und die Leute lachen sich tot“, sagt Anja Laïs. „Bevor wir auf die Bühne gehen, ist es wie in einem Kleintierkäfig. Und wenn wir dann zusammen loslegen, macht es Spaß. Spielen ist eine Abenteuerreise, es muss aufregend bleiben, ansonsten wäre es Lebenszeitverschwendung.“

Außer im „Gott des Gemetzels“ und in den „Physikern“ spielt Anja Laïs auch in Karin Beiers Antiken-Projekt „Die Rasenden“, sie verkörpert in Tennessee Williams’ „Die Glasmenagerie“ die Amanda als durchgeknallte und attraktive Mutter in einem Trailerpark, in Beiers Tschechow-Inszenierung „Onkel Wanja“ ist sie die schöne Elena Andrjewna, der alle Männer ihre Liebe zu Füßen legen. „Es ist spannend, als 47-Jährige die Rolle einer 25-Jährigen zu spielen. Vor zehn Jahren hätte ich die Elena vielleicht mit mehr Wut gespielt.“ Sie weiß, dass in ihrem Alter „die Luft dünner wird“, was Besetzungen angeht. Manchmal wünscht sie sich, in eine Männerrolle wie Shakespeares blutrünstigen König Richard III. schlüpfen zu dürfen. „Ich kann Richards Gedanken auch nachvollziehen. Das ist etwas anderes, als in Frauenrollen immer ,Ich liebe dich‘ zu sagen.“

Obwohl Anja Laïs in tragenden Rollen auf der Bühne des Schauspielhaus steht, ist sie weniger bekannt als viele ihrer Kollegen wie Maria Schrader oder Charly Hübner. Der gibt in der Kantine gerade ebenfalls ein Interview, obwohl er bei den „Physikern“ gar nicht mitspielt. Aber Hübner ist als Kommissar im „Polizeiruf 110“ populär. Anja Laïs hat ein paar kleinere Fernsehrollen gespielt, „aber auf einen tollen Kinofilm warte ich noch“, sagt sie.

Seit fast drei Jahrzehnten spielt Laïs Theater. Ein Kinoangebot fehlt noch

Einen Grund dafür, dass noch kein Regisseur oder Produzent auf sie zugekommen ist, kennt sie nicht: „Vielleicht müsste ich öfter in der Kantine sitzen oder bei Premierenfeiern rumstehen.“ Sie denkt kurz nach, lächelt und fängt an auszuspinnen, wie so ein Film sein müsste. „Es müsste irgendwas Trauriges sein. Und dann würde ich in Berlin oder Venedig über den roten Teppich gehen, zehn Preise bekommen, eine Rede halten...“ Die Garderobenfrage geht Anja Laïs pragmatisch an: „Da würde ich mir hier was aus dem Fundus leihen“, sagt sie und lacht.

Seit fast drei Jahrzehnten spielt Laïs Theater. In Köln sei sie zu lange gewesen. Die 15 Jahre hätten sich am Ende wie eine Ehe angefühlt, in der man sich nichts mehr zu sagen hatte. „Was hätte ich dem Publikum noch Neues liefern können?“ Doch Theater ist inzwischen nicht mehr alles in ihrem Leben. „Ich habe immer noch ein Bein in der Wildnis“, sagt sie. Ein Haus auf einer schwedischen Insel. Während ihrer Kölner Zeit hat sie dort mit ihrer Familie ein Jahr lang gelebt und ist zu den Vorstellungen nach Köln geflogen. 90-mal in einer Saison. Deshalb sei ihr der Umzug nach Hamburg leicht gefallen. „Mir ist der Norden sehr nah. Hier herrscht ein anderer Luftzug“, sagt sie und wuschelt sich ein letztes Mal durch die Haare.