Hamburg. Wie ist es, ein HSV-Heimspiel live zu verfolgen, ohne es sehen zu können? Fünf Schüler beschreiben ihr „blindes Stadionerlebnis“.
Schwarz. Alles ist schwarz. Rundherum Geschrei, Gebrüll. Die Nervosität der Menschen um uns herum müssen wir nicht sehen. Wir können sie spüren. Und die Spannung auch. Wir vertrauen auf all unsere Sinnesorgane – nur nicht auf unsere Augen. Um uns herum freuen sich 51.000 Menschen auf das HSV Heimspiel im Volksparkstadion gegen den 1. FSV Mainz 05 an einem Sonnabend im Dezember.
Das Nichtsehen oder eingeschränkte Sehen ist für viele unserer Mitmenschen Realität. Für das Projekt „Das blinde Stadionerlebnis“ haben wir uns mit Alltag und Sport blinder Kinder und Jugendlicher auseinandergesetzt.
Wir haben das Bundesliga-Spiel gemeinsam mit vier blinden und sehbehinderten Schülerinnen und Schülern im Alter von 10 bis 14 Jahren besucht. Sie haben teils eine Sehstärke von unter zehn Prozent. Das bedeutet, dass ihr Sehfeld gerade einmal den Umkreis eines Ein-Euro-Stücks umfasst. So funktioniert die Aktion: Wir sollen das Match zeitweise mit abgedunkelten Augen verfolgen. Das Ziel des Projekts: So sollen wir erfahren, wie das ist, wenn man Fußball mit den Ohren schaut.
Die Aktion „Das blinde Stadionerlebnis“ begann für uns um 13 Uhr am Hamburger Hauptbahnhof mit einer kurzen Kennenlern-Runde. Zuerst wurden Paare gebildet, und im Anschluss machten wir uns gemeinsam mit der S-Bahn auf den Weg zum Volksparkstadion. Jeder sehbehinderte Schüler bekam einen sehenden Schüler an die Seite. Auf dem Weg zum Stadion erfuhren wir viel voneinander und stellten fest, dass wir zum Teil dieselben Hobbys haben, dasselbe gut finden und dass unterschiedliche Ursachen zu einer Sehbeeinträchtigung führen. Am Stadion trafen wir die Fan-Inklusionsbeauftragte des HSV, Fanny Boyn.
An unseren Sitzplätzen bekamen wir ein Gerät für die Audioreportage. Der Blindenreporter der Audioreportage hat das Spiel genau beschrieben und erklärt, wo sich der Ball und die Spieler befinden. Damit wir nachempfinden konnten, wie es ist, blind zu sein, setzten wir eine blickdichte Brille auf. Es war total dunkel, nur sehr helles Licht, wie der Blitz einer Kamera, war zu sehen. So konnten wir nachempfinden, zu welch geringem Teil Sehbehinderte die Umwelt wahrnehmen können. Uns wurde klar, dass wir großes Glück haben, sehen zu können und wie eingeschränkt man als Sehgeschädigter ist. Wir alle sollten mehr auf Sehbehinderte oder allgemein auf unsere Mitmenschen achten.
Nach dem Spiel tauschten wir uns in einer Kleingruppe aus, und ein sehbeeinträchtigtes Mädchen erzählte uns, wie sie Sport treibt. Sie spielt selbst Fußball – mit einem grellen Ball, der Geräusche von sich gibt. Mittlerweile gibt es schon relativ viele Blindenfußballmannschaften. Auch der FC St. Pauli hat ein Blindenfußball-Team. Es gibt auch eine Blindenfußball WM, an der nur Personen mit null Prozent Sehstärke teilnehmen dürfen. Eine unserer Partnerinnen joggt gern. Das kann sie aber nur in Begleitung. Alles andere wäre zu gefährlich.
Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass es in Hamburg Führungslinien für Blinde und Sehbehinderte gibt? Vor einer Treppe oder bevor ein Bahngleis anfängt, ändern sich die Steine. So spüren Blinde, dass sich der Weg ändert.
Für uns war „Das blinde Stadionerlebnis“ eine spannende Erfahrung, da wir zum einen noch nie in einem Stadion waren und zum anderen dieses erste Mal aus der Perspektive eines Sehbehinderten erleben konnten. Obwohl der HSV 1:3 verloren hat, hatten wir Spaß, vor allem die sehbeeinträchtigten Kinder. Das war sehr schön anzusehen.
Nach dem Spiel haben wir mit Jenny, einem blinden jungen Mädchen, über ihr Leben, Sport und das Fußballspiel gesprochen. Sie erzählte uns von ihrer Krankheit und dass sie aufgrund ihrer sehr geringen Sehstärke bereits medizinisch als blind gilt. Noch kann sie Einzelnes erkennen, allerdings auch nur, wenn sie sich komplett auf einen bestimmten Punkt konzentriert. Doch auch dieses ganz schwache Sehen wird immer schlechter, und irgendwann wird sie rein gar nichts mehr sehen können. In der Stadt kommt sie allein noch nicht so gut zurecht, weshalb sie meist mit einer Begleitperson unterwegs ist. Allerdings erzählte sie stolz, dass sie in der Schule, bei Freunden und bei ihr zu Hause ohne Probleme alleine und ohne Stock klarkommt. Wenn sie aus dem Haus geht, hat sie meistens ihren Blindenstock bei sich. Auch konnten wir erfahren, dass sie trotz Blindheit leidenschaftlich Breakdance und außerdem sehr gern Leichtathletik macht.
Wie werden beim nächsten Fußballspiel noch mehr zu schätzen wissen, dass wir es uns ansehen können.
Diese Reportage ist ein Gemeinschaftswerk von Chiara Gätjens und Lara Schmitz (Klassen 9/10, Gymnasium Oldenfelde) sowie Akmal Bahar, Christoph Glowatzki und Leon Schultz, Klasse 11A, Berufliches Gymnasium City Nord).