Hamburg/Barcelona. Hamburgerin ist Chefin des Teatre del Liceu in Barcelona: Christina Scheppelmann hat ihren Berufswunsch aus Jugendzeiten wahr gemacht.

Sagen wir es mal so: Wenn jemand den Berufswunsch „Ich will Opernintendantin werden!“ in der Abi-Zeitung verewigt, gibt das zu denken. Doch für Christina Scheppelmann war die Ansage konsequent. Sie hat als Alsterspatz im Kinderchor der Staatsoper gemerkt, wie es ist, wenn das Rampenlicht angeht und der Puls Glückshormone pumpt. Mit 14 die erste große Aufführung, Wagners „Parsifal“, die erste große Oper aus der Publikumsperspektive war Verdis „Don Carlos“; sie schob Garderobendienste, verkaufte Programmhefte und absolvierte ein Praktikum in der Dramaturgie. Die Sucht nach der Droge Musiktheater war da und blieb.

Nach dem Abitur am Albert-Schweitzer-Gymnasium folgte eine Banklehre in der kleinen, feinen Privatbank Hesse Newman („Das habe ich nie bereut“), weil der möglichst fehlerfreie Umgang mit großen Zahlen Teil der erträumten Stellenbeschreibung ist. Und danach: nichts wie raus, raus in die große weite Welt jenseits des HVV-Fahrplans. Opern-Chefin werden. Hat geklappt. „Das Leben ist kurz, die Welt ist groß.“ Scheppelmann war und blieb neugierig, inzwischen spricht sie sieben Sprachen. „Ich hatte einfach das wahnsinnige Glück, in interessanten Städten zu arbeiten“, resümiert die 49-Jährige über die gut zwei Jahrzehnte, in denen sie nicht in Europa tätig war. „Ich glaube, wenn man sich die Liste anschaut, kann man mir nicht verübeln, dass Deutschland nicht dabei war. Es gibt Menschen, die lieber in ihrer Komfortzone bleiben, und andere, die lieber dahin gehen, wo sie neue Erfahrungen sammeln können.“

Während des Gesprächs, das nach einigen Hin-und-Her-Mails in mehreren Zeitzonen telefonisch zustande kommt, sitzt Scheppelmann an ihrem Schreibtisch in Barcelona, als Intendantin am Gran Teatre del Liceu. Das hat einen altehrwürdigen Namen, steht aber auch in einem Land mit derzeit etwa 20 Prozent Arbeitslosigkeit, das eine Wirtschaftskrise bewältigen muss. Davor war sie Intendantin in Oman, im frisch gebauten, einzigen Opernhaus auf der Arabischen Halbinsel, mit eingebauter Shopping Mall und Restaurants. Placido Domingo und das Kennedy Center aus Washington hatten den Omanis Ratschläge gegeben, wie man so einen Kultur-Import zum Laufen bringt.

Zur Eröffnung der Luxus-Oper sangen Domingo und Andrea Bocelli. Der Sultan ist – sehr untertreibend formuliert – ein wohlhabender Musikliebhaber, der sich das Opernhaus in Maskat gegönnt hat wie andere ein Wintergärtchen, und er ist ausgebildeter Organist. Von der Bonner Orgelbaufirma Klais, dem für Unikate bekannten Lieferanten der Elbphilharmonie-Orgel, hat er sich ein goldverziertes Prachtexemplar in seinen Opernhaus-/Konzert-Saal installieren lassen, das auf Schienen aus der Hinterbühne nach vorn gefahren werden kann. Waren Sparzwänge bei der Spielplan-Planung für Scheppelmann also nur etwas zum mitleidigen Belächeln, falls Kollegen von auswärts in Maskat vorbeikamen? Von wegen. „Glauben Sie nicht, dass der Geldhahn unendlich weit offen stand. Budgets hatten wir auch, und die mussten respektiert werden. Niemand, der viel Geld hat, hat viel Geld, weil er es aus dem Fenster wirft.“

In San Francisco war sie die jüngste Künstlerische Leiterin in den USA

Vor Oman, wo sie gern länger geblieben wäre, war Scheppelmann elf Jahre lang rechte Hand des nicht immer leibhaftig anwesenden Intendanten Plácido Domingo an der National Opera in Washington („Man konnte sich nie ausruhen, Placidos Ansprüche waren wahnsinnig hoch“), nachdem sie sieben Jahre am Opernhaus von San Francisco gearbeitet hatte. Als man sie dort engagierte, war sie mit 28 die damals jüngste Künstlerische Leiterin in den USA und hatte erste Stationen bei einer Künstleragentur in Mailand, am Fenice in Venedig und am Liceu in Barcelona im Lebenslauf.

Scheint also, dass die Hamburgerin Christina Scheppelmann, die inzwischen auch einen US-Pass hat, in der Abi-Zeitung ziemlich richtig lag.

Wer so weit herumkommt in der Musikwelt, kann viele Vergleichsmöglichkeiten und Perspektiven bieten. Auch deswegen fällt Scheppelmanns Kommentar zu ihrer Noch-Kollegin Simone Young, die in ihren zehn Hamburger Jahren Intendanz plus Generalmusikdirektion geschultert hat, sehr diplomatisch aus: „Die Belastung von der Verwaltungsperspektive her ist viel größer als vor 30, 40 Jahren. Das ist schon wahnsinnig viel Arbeit. Ich bin sicher, dass sie es eine Zeit lang sehr gut gemacht hat. Aber es ist einfach eine Riesenbelastung.“ Der Blick von sehr weit draußen auf die Oper? Auch dafür gibt es kollegiale Rückendeckung: „Vor einigen Jahren habe ich den ,Lear‘ gesehen, den ich phänomenal fand. Wenn ich mein Urteil darauf aufbaue, geht es der Staatsoper wirklich gut.“

So einzigartig das staatlich mitfinanzierte System der Theater, Orchester und Opernhäuser der Kulturnation Deutschland ist, so reglementiert und mit Sachzwängen gespickt ist es auch. Scheppelmann hat gelernt, anders zu planen, aber dennoch ähnlich zu denken. „Letztlich macht es keinen Unterschied, ob man eine Grundsicherheit durch Subventionen hat oder nicht“, findet sie. „Man muss immer kosten- und verantwortungsbewusst arbeiten, ob nun mit Steuergeld oder mit Geld von Sponsoren.“

Ähnlich grundsätzlich reagiert sie auf die Bemerkung, dass sie aus einer überwältigend männlich bestimmten Gesellschaft nur in eine andere umgezogen sei. „Das stimmt nicht. Frauen können in Oman machen, was sie auch überall sonst machen können – studieren, Anwälte werden, Ärzte werden.“ Aber Spaniens Machos haben den Feminismus ja wohl nicht erfunden? „Na und? Ist das das Maß aller Dinge? Erzählen Sie mir nicht, dass die Frauen in Deutschland gleich behandelt werden. Es gibt immer noch viele Management-Positionen, in denen Männer mehr verdienen. Bis 1977 konnten Frauen ohne die Zustimmung ihres Mannes in Deutschland weder ein Konto eröffnen noch einen Arbeitsvertrag unterschreiben. Wir haben die Gleichberechtigung also auch nicht erfunden. Das war und ist eine gesellschaftliche und politische Entwicklung. Und zu glauben, dass ausgerechnet wir Maß aller Dinge wären, finde ich absurd. Es nennt sich andere Kultur, weil es eine andere Kultur ist. Von Marokko nach Dubai sind es 8500 Kilometer. Und wir wollen doch schon Hamburg und Berlin nicht in einen Topf werfen.“