Hamburg. Das Museum Kunst der Westküste in Alkersum feiert diesen Sonntag schon 13. Geburtstag. Im Fokus: der Impressionist Max Liebermann.

Wer es nicht kennt, dürfte leicht irritiert sein: Das erste Hinweisschild auf das Museum Kunst der Westküste steht an einem Kreisel, an dem es für Fahrer und Beifahrerin (gern auch umgekehrt) schnell zu entscheiden gilt, die richtige Ausfahrt zu nehmen. Wer weder ins Zentrum von Dagebüll noch nach Niebüll - Achtung, von dort führt ein langer Damm nach Sylt - abbiegt, sondern zum Fährterminal der W.D.R. (Wyker Dampfschiffs-Reederei), der ist auf einem guten Weg.

Nach einer Dreiviertelstunde Überfahrt und der Ankunft auf Föhr begegnet einem im Hafen von Wyk das Hinweisschild „Museum Kunst der Westküste“ ein zweites Mal. Folgt man dem anderen Schild „Inseldörfer“ raus aus dem Städtchen, ist das Ziel nach zehn Auto- oder gut 20 Radminuten erreicht: Alkersum im Zentrum der Insel ist bis heute von schönen Pferden auf grünen Wiesen und touristisch ausgebauten Reiterhöfen geprägt.

Hier liegt Föhr.
Hier liegt Föhr. © HA Grafik | Frank Hasse

Kunst-Ausflug: Hochkarätige Ausstellungen auf Föhr

Sie zählen zu den Wirtschaftsfaktoren - ebenso wie seit mehr als einem Jahrzehnt das Museum Kunst der Westküste (MKdW) mit seinen Werken zu den Generalthemen Meer und Küste des Nordseeraums. Am 31. Juli 2009 hatten als Ehrengäste Dänemarks Königin Margrethe II. und Bhutans Königin Ashi Sangay Choden Wangchuk das 13 Millionen Euro teure Museum in Alkersum eingeweiht. Verlegerin Friede Springer, 1942 im Nachbardorf Oldsum geboren, war ebenfalls zugegen. Betreiber ist jedoch die Det Paulsen Legaat gemeinnützige GmbH (deutsch: „Das Paulsen-Vermächtnis“), Stifter des Museums Frederik Paulsen junior, der Vorstandsvorsitzende des Pharmakonzerns Ferring.

Das Café Grethjens Gasthof mit seinem Blumengarten gleich neben dem Museum Kunst der Westküste gehört zum Gebäudekomplex.
Das Café Grethjens Gasthof mit seinem Blumengarten gleich neben dem Museum Kunst der Westküste gehört zum Gebäudekomplex. © MKdW | Lukas Spörl

Paulsens Vater Frederik sen. war vor den Nationalsozialisten nach Schweden geflohen, gründete dort die Firma Ferring und setzte sich nach dem Krieg für Aussöhnung und für die Belange der Friesen ein. Der gebürtige Dagebüller starb 1997 in Alkersum - am Eröffnungstag des Museums wäre er 100 Jahre alt geworden. „Ich widme diesen Tag und das Museum meinem Vater“, sagte Paulsen jr. 2009 . Er wolle mit diesem Haus einen Teil des nordfriesischen Kulturguts allen Menschen permanent zugänglich und erlebbar machen, so der Stifter. Längst hat sich das Museum einen exzellenten Ruf erworben. Hier lässt sich in Ruhe hochkarätige Kunst genießen.

Kunst von Nolde, Liebermann und Munch

Zur Sammlung gehören heute mehr als 1000 Werke der Jahre zwischen 1830 und 1930 sowie von 1995 bis zur Gegenwart. Die älteren Bilder entstammen einer Zeit, als Maler vermehrt im Freien arbeiteten und sich vom klaren Licht an der Nordseeküste inspirieren, teils sogar begeistern ließen. Berühmte Namen wie Emil Nolde, Max Liebermann, Max Beckmann, Edvard Munch, Anna Archer etwa. Ihre Werke sind in den fürs Museum typischen Wechselausstellungen zu sehen.

Wobei das große Thema „Meer und Küste“ von den Niederlanden über Deutschland und Dänemark bis hoch nach Norwegen weiterhin im Zentrum steht. Natürlich ist auch der als Föhr-Maler bekannt gewordene Otto Heinrich Engel (1866–1949) vertreten. Er verbrachte Anfang des 20. Jahrhunderts viele Sommer auf der Insel und wohnte stets im Gasthof von Gretjen Hayen. Der Gasthof gehört heute zum Gebäudekomplex des Museum in Alkersum.

Liebermann belegt Großteil der drei Säle

Seit 2013 ist Ulrike Wolff-Thomsen Direktorin des Museums. Die Professorin der Kunstgeschichte hat das Haus auch durch die von Lockdowns geprägten schwierigen Jahre 2020 und 2021 geführt. Die Rekordzahl von 47.000 Gästen von 2019 scheint zwar dieses Jahr noch nicht erreichbar, Wolff-Thomsen ist indes zuversichtlich, wieder die 40.000-Besucher-Marke zu überschreiten. Wie in der Vergangenheit setzt die Leiterin mit ihrem Team auf Wechselausstellungen; in diesem Sommer ist der Museumsbau noch um einen neuen Saal erweitert werden – fortan können drei Ausstellungsbereiche bespielt werden.

Erst Anfang Juli ist die Schau „Provenienzgeschichten - Max Liebermann im Fokus“ eröffnet worden. Sie nimmt in den drei großen Sälen des Museums den größten Raum ein. Dem Thema der Herkunft der Bilder insbesondere des bedeutenden deutschen Impressionisten widmet sich das MKdW schon länger, seit 2017 verstärkt durch einen in der Presse formulierten möglichen Restitutionsfall. Die Ölstudie „Wäschetrocknen - Die Bleiche“, als Dauerleihgabe im Besitz des MKdW, war in den Verdacht geraten, während der NS-Zeit ihrem jüdischen Vorbesitzer unrechtmäßig entzogen worden zu sein.

Auch diese beiden Grafiken sind Teil der Schau „Provenienz­geschichten –  Max Liebermann im Fokus“.
Auch diese beiden Grafiken sind Teil der Schau „Provenienz­geschichten – Max Liebermann im Fokus“. © MKdW | Lukas Spörl

MKdW: Größere Sammlung als Berliner Nationalgalerie

Der mehrjährigen aufwendigen Provenienz-Recherche wird in der Ausstellung Rechnung getragen - sie gewährt einen Blick hinter die Kulissen der Museumsarbeit. „Auch uns als privatem Museum ist es sehr wichtig, sich dem Thema Provenienz zu stellen und die Aufarbeitung transparent zu machen“, sagt Ulrike Wolff-Thomsen. Und nicht ohne einen gewissen Stolz, wenn auch mit norddeutscher Gelassenheit hat die Chefin aus Anlass von Liebermanns 175. Geburtstag am 20. Juli festgestellt, dass das Museum Kunst der Westküste sogar besser bestückt ist als die Berliner Nationalgalerie: „Wir haben 23 Gemälde und Ölstudien von ihm aus der Zeit von 1873 bis 1911, die Berliner nur 22.“

Auch Günter Zachariasen kann seine bislang größte Ausstellung im MKdW präsentieren Der auf Sylt geborene Maler (85), der seit Langem auf dem nordfriesischem Festland lebt, war im Juni selbst zur Eröffnung der ihm gewidmeten Schau „Unendlich Jetzt“ anwesend. Das MKdW hat ihm einen eigenen Katalog gewidmet. In den Museumssälen, in die direktes Tageslicht einfallen kann, entfalten seine Bilder eine besondere Kraft: Je mehr Licht durch die 25 bis 30 übereinanderliegenden Farblasuren dringt, umso stärker senden sie Licht zurück. Und das Licht spielt eine immense Rolle in seinen oft monumentalen Bildern, die malerischen Abstraktionen gleichen und dennoch Offenheit und Weite spiegeln.

Werke von Jorns zeigen Föhrer Jugendliche

Die dritte Ausstellung des MKdW ist zwar nur noch bis Ende November zu sehen, „Inseljugend - Andreas Jorns“ zeigt vom genannten Fotografen in der Galerie über dem Café Grethjens Gasthof jedoch ungewöhnliche Aufnahmen von Föhrer Jugendlichen. Entstanden sind sie im Winter 2019/2020 sowie unter den gewandelten Bedingungen der Corona-Zeit.

Was bedeutet den Jugendlichen ihre Heimat? Wie lebt es sich auf einer nordfriesischen Insel? Passend zum 13. Museums-Geburtstag geben der Fotograf Jorns und drei der Jugendlichen, deren Porträts zu sehen sind, an diesem Sonntag während ihrer Führungen selbst Antworten. Und für diejenigen, die die Ausstellungen diesmal (noch) nicht vor Ort erleben können, ist ein 3D-Rundgang durchs gesamte Haus über die Website des Museums aufrufbar.

Um die Zukunft des Museums ist Ulrike Wolff-Thomsen und ihrem Team jedenfalls nicht bange. Die Ende Juni ausgeschiedene langjährige Programmleiterin Christiane Morsbach hat bei der Kulturstiftung des Bundes noch die Förderung einer neuen MKdW-Travel-App angeschoben. Außerdem erscheint in den nächsten Wochen das erste MKdW-Kinderbuch.

Ausgehend von historischen Gemälden Max Liebermanns und aktuellen Fotoarbeiten von Mila Teshaieva haben Kinder aus Kindergärten und Grundschulen auf Föhr und Amrum Fantasiegeschichten erdacht - diese wurden anschließend von der FSJ-Mitarbeiterin Amelie Paintner kunstvoll illustriert.

Bei so viel Kreativität in ihren Haus kann die Direktorin nach Feierabend bei warmen, sommerlichen Wetter und nahender Flut schon mal entspannt zum Baden in die Nordsee. springen. Ulrike Wolff-Thomsen macht das gern vor Wyk. In das Städtchen, in dessen Zentrum mit dem Friesen-Museum das zweite, noch traditionsreichere Föhrer Ausstellungshaus steht, sind es gut fünf Kilometer. Auch der Rückweg hält noch Kultur bereit.

„Provenienzgeschichten – Max Liebermann im Fokus“ bis 19.3.2023

„Günter Zachariasen – „Unendlich Jetzt“ bis 15.1 2023

„Inseljugend – Andreas Jorns“ bis 27.11., Museum Kunst der Westküste, Hauptstr. 1, Alkersum auf Föhr, Di–So 10.00– 17.00, Eintritt 10,-/5,-(erm.)/bis 18 Jahre frei, alle Veranstaltungen am So 31.7. frei, T. 04681/ 74 74 00; www.mkdw.de

Kuchen/Föhrer Hofeis: Restaurant und Café Grethjens Gasthof, Di–So 11.00–17.00.

Lesung/Führungen am So 31.7., 11.00 (mit Schauspieler Vincent Elmers), 10.30 und 12.30 (mit Insel-Jugendlichen und Fotograf Andreas Jorns).

Von Hamburg: ca. 205 km (inkl. Fährüberfahrt Dagebüll–Wyk)

Zum Strand: 4,3 km (zum Goting Kliff) bzw. ca. 5 km (nach Wyk/Am Sandwall)