Hamburg. Wen man hat, den hat man: Hamburgs Kulturlandschaft ist durch den Hang zur Verrentung geprägt.

Verglichen mit dem Berufsleben von Christoph Lieben-Seutter ist die 16-Jahre-Ära von Angela Merkel ein Epöchlein. Denn der Generalintendant von Elbphilharmonie und Laeiszhalle trat seinen Posten anno 2007 an, als die Elbphilharmonie noch ein visionärer Traum war, bevor sie zum finanziellen Alptraum wurde. Sein derzeitiger Vertrag wurde im April bis Sommer 2029 verlängert, er endet damit pünktlich zu seinem 65. Geburtstag im Juni. Vier Kultursenatorinnen und -senatoren hat aus Wien importierte Konzerthaus-Chef bislang in seiner Hamburger Arbeits-Zeit gehen oder kommen gesehen. Der international legendäre Staatsopernintendant Rolf Liebermann kam mit längerer Abwesenheit mittendrin auf 18 Jahre, also vier Jahre weniger als Lieben-Seutter jetzt.

Ebenfalls 2007 – in jenem Jahr, in dem Amelie Deuflhard, aus Berlin kommend, Chefin auf Kampnagel wurde – zog Steve Jobs ein Gerät aus seiner Hosentasche, das er auf den Namen iPhone taufte und das seitdem die Welt und ihre Wahrnehmung fundamental verändert hat. Deuflhards Verlängerung läuft bis 2027, dann ist sie 68, und bedeutet: zwei Jahrzehnte Off-Kultur-Monopol à la Deuflhard in den Winterhuder Produktionshallen. Im Smartphone-Sortiment von Apple wird man beim iPhone 20 sein.

Es geht nicht um Persönliches und nicht um die Qualität der Arbeit

Thalia-Intendant Joachim Lux kam zwei Jahre später als Deuflhard an sein Haus, sein Vertrag, zuletzt um ein Jahr verlängert, läuft bis 2025, macht: 16 Jahre, etwa ein halber Dreißigjähriger Krieg. Sein Ensemble hatte ihn ausdrücklich um die Extra-Runde gebeten, damit die Nachfolge geregelt werden kann. Lux wird dann ebenfalls 68 Kerzen auf der Geburtstagstorte sehen. Ein Staatstheater weiter sieht es so viel anders nicht aus: Intendantin Karin Beier kam 2013, bis 2025, mindestens, bleibt sie auf ihrem Stuhl. Ein Dutzend Dienst-Jahre werden also zu Beiers 60. vergangen sein.

Auch an der Staatsoper geben sich die Chefs an der Doppelspitze nicht direkt im Eiltempo die Klinken in die Hand. Sowohl Intendant Georges Delnon als auch Generalmusikdirektor Kent Nagano begannen ihre Arbeit an der Dammtorstraße 2015. Sie soll nach dem jetzigen Wechsel-Stillstand der Dinge 2025 enden, dann ist Delnon ein Jahr vor 68 und Nagano sechs Jahre älter als 68.

Sylvian Cambreling wird mindestens bis zum 79. Chefdirigent bleiben

Bislang letzter Neuzugang auf der Langzeit-Liste der Hamburger Kultur-Führungskräfte ist der Symphoniker-Chefdirigent Sylvain Cambreling, der 2018 kam und den das Orchester gerade bis „mindestens 2028“ weiterverpflichtete, also für mindestens zehn Jahre, mindestens bis zu seinem 79. Geburtstag. Daniel Kühnel, noch geradezu jugendliche 49, wurde 2004 als Symphoniker-Intendant berufen. Ein gewisser Horst Köhler (die Älteren könnten sich an ihn erinnern) wurde damals zum Bundespräsidenten gewählt.

Keine problematische Regel ohne mindestens eine lindernde Ausnahme: In einigen der großen Hamburger Museen wurden in den letzten Jahren Chef- und Chefinnen-Posten neu besetzt – sieht man von den Deichtorhallen ab, für die Intendant Dirk Luckow, auch schon seit zwölf Jahren im Amt, gerade bis 2026 verlängert wurde, ins Jahr seines (was für ein Zufall) 68. Geburtstags.

Es geht um Veränderung und auch Verjüngung

Der fast ewige Ballett-Intendant und Ehrenbürger John Neumeier, 83, choreographiert und wirkt längst in seiner ganz eigenen Liga, ein Ausstiegsszenario für ihn ist geplant. Doch was danach wie mit wem sein wird, ist offen; sowohl das Erbe als auch der Erfolgsdruck für die Nummer eins nach einem halben Jahrhundert Neumeier sind furchterregend groß.

Würde man beim Bilanzieren des Führungspersonal-Tableaus jetzt die Pausentaste drücken und die Pressestelle der Kulturbehörde wegen ihres Hangs zur Verrentung durch großzügige Vertragsverlängerungen fragen, käme garantiert eine leicht verwunderte Antwort, in der diese Satzbausteine auftauchten: „Kontinuität sichern“, „prominente Handschrift“, „erfolgreiche Arbeit fortsetzen“, „in diesen herausfordernden Zeiten“, „das Profil prägen“, „Kulturlandschaft bereichern“. Treffer satt beim Kulturpolitik-Phrasen-Bingo. Kultursenator Carsten Brosda, nie um rhetorisch geschliffene O-Töne verlegen, würde sich mit „Never change a winning team“ oder einem passenden Country-Songtitel zitieren lassen.

All das wäre natürlich nicht ganz verkehrt. Es ist aber gleichzeitig auch nicht grundsätzlich richtig. Beim Wundern über diese unspannenden Zustände geht es grundsätzlich nicht um Persönliches und nicht um die Qualität der Arbeit der jeweiligen Führungskräfte. Nicht um mal bessere, mal schlechtere Einzelleistungen hier, da oder dort, um diese oder jene versemmelte Haus-Premiere oder eine unglücklich eingekaufte Produktion. Künstlerpech, kommt vor, kann passieren. Muss passieren. Es sollte allen – immer ein 1a-Grund für leider anstrengendes Stirnrunzeln – ums Prinzip gehen, an dem man sich reiben muss, um anschließend erhitzt voranzukommen. So unschön bürokratisch dieses P-Wort gerade für Kultur-Kreative auch klingen mag. Es geht um Veränderung und, mindestens genauso wichtig, Verjüngung.

Kultur braucht immer wieder den Wandel und den Wechsel

Bei seiner letzten Saison-Vorschau-Pressekonferenz im Staatsopern-Foyer hatte Delnon in einem Nebensatz erwähnt, dass nun alle Spielzeiten bis zu seiner Pensionierung bereits durchgeplant seien. Man kann das gut finden, beruhigend, vorausschauend und klug; als Teil des Opernleiter-Jobs betrachten, bei dem systembedingt sehr wenig mal eben von jetzt auf gleich zu haben ist. Man sollte sich aber auch bei dieser Position stellvertretend für einen großen Teil der Hamburger Kulturlandschaft fragen, ob diese Haltung tatsächlich die Einstellung ist, die es jetzt und erst recht beim Vorausdenken für die Zukunft braucht. Denn wenn Kultur, in welcher Sparte auch immer, eines unbedingt immer benötigt und durch Kulturpolitik vorangetrieben sehen müsste, dann wäre das: Wandel. Wechsel. Aufregung, Reibung. Krach und Versöhnung. Aufs und Abs. Neue Ideen. Kreative Störfälle. Mut zum Risiko. Keine Angst vorm Scheitern. Hinfallen, Krönchen richten, weitermachen. Umparken im Kopf statt kulturbehördlich garantierter Stammplätze. Neue Besen können nur ans Kehren kommen, wenn man sie auch lässt. Selbst US-Präsidenten müssen sich nach maximal acht Jahren aus dem Oval Office verabschieden.

In dieser schwierigen Gegenwart mit ihren Problemen (die gern nervenschonend zu „Herausforderungen“ verniedlicht werden) ist Festhalten am Status-quo-und-dann-lange-nichts-Denken ein heikles Hindernis. Oder, um es mit dem Literatur-Nobelpreisträger Bob Dylan zu sagen: The Times They Are A-Changin‘. Die Zeiten ändern sich. Aber ganz bestimmt nicht nur alle zwei Jahrzehnte. Von derartigen Kurswechseln sind die Personal-Weichenstellungen in Hamburgs Kulturpolitik allerdings etliche Jahre entfernt. Man arrangiert sich, man kennt sich, man weiß genau, was man aneinander miteinander voneinander hat. Man wird in einem Generationen-Kollektiv gemeinsam alt. Hier gilt, in diesem Ausmaß bundesweit wohl einzigartig, die Devise: „Wen man hat, den hat man.“