Hamburg. Bei der Gala „50 Jahre Hamburg Ballett“ wird Intendant John Neumeier gefeiert. Neumeier-Preis für Choreografie an Edvin Revazov.

Zum ersten Mal während 50 Jahren wird eine Gala des Ballett Hamburg nicht von Intendant John Neumeier selbst moderiert – und wer dessen Hang zur Perfektion kennt, ahnt, wie ungeduldig er auf seinem angestammten Platz in der ersten Reihe rechts sitzen dürfte. Aber es hilft ja nichts: Die Jubiläumsgala zugunsten der neu gegründeten John Neumeier Stiftung in der Staatsoper ist ein Geschenk für den 84-Jährigen, und bei einem Geschenk sollte er nicht arbeiten müssen. „Lieber John“, lächelt Moderatorin Isabella Vertés-Schütter sardonisch von der Bühne herab, „das musst du jetzt aushalten!“

Und natürlich hält Neumeier das Gezeigte aus. Denn: Das Programm der Gala ist ein Vergnügen, ein Streifzug durch die wichtigsten Stationen des Jahrhundertchoreografen, sachte modernisiert, getreu Neumeiers Credo, dass seine Arbeit nicht museal verstauben solle, sondern immer wieder hinterfragt, umarrangiert, neu gedacht werden müsse. Musikalisch wird der Abend begleitet von den Hamburger Symphonikern unter dem zupackenden Dirigat Markus Lehtinens (sowie bei zwei Auftritten vom Vocalensemble Rastatt, geleitet von Holger Speck). Und szenisch gibt es Passagen aus den großen Neumeier-Balletten, etwa zur Eröffnung aus „Bernstein Dances“ (1998), dann aus „Mathäus-Passion“ (1981) und aus „Nijinsky“ (2000).

Hamburg Ballett: Neumeier wird von einer Charmeoffensive aus Kanada überrollt

Unterbrochen werden diese kurzen, sehenswerten Balletthäppchen durch Grußworte per Video. Von Kirchenmusiker Günter Jena etwa, einem wichtigen Begleiter bei Neumeiers sakralen Werken, der betont: „Der Generalbass deines Wirkens ist Arbeit, Arbeit, Arbeit!“ Von Karen Kain, der ehemaligen Direktorin des National Ballet of Canada, die den Gratulanten mit einer Charmeoffensive überrollt.

Und von Marcia Haydée, als Primaballerina und später Direktorin in Stuttgart eine der wichtigsten Protagonistinnen in Neumeiers künstlerischer Biografie. Haydée erzählt in einer sehr persönlichen Anekdote, wie sie nach dem Tod von beider Förderer John Cranko 1973 in eine Krise geraten sei, aus der sie Neumeier gerettet habe, zunächst, indem er sie als Königin in „Hamlet“ besetzt habe, 1978 dann als Marguerite Gautier in „Die Kameliendame“. Und dann folgt eine kurze, sehr genau getanzte Szene aus diesem Stück mit Amandine Albisson (in Haydées einstiger Rolle) und Audric Bezard von der Opéra de Paris. Wer übrigens „Die Kameliendame“ in Gänze sehen möchte: Am 4. und 5. Juli ist das Stück in seiner Stuttgarter Einstudierung bei den Hamburger Balletttagen zu Gast, dann mit Elisa Badenes als Marguerite.

Während der Gala wurden Auszüge aus Neumeiers Werk gezeigt.
Während der Gala wurden Auszüge aus Neumeiers Werk gezeigt. © Kiran West | Kiran West

Außerdem sieht man: eine Hommage an die US-amerikanische, 2005 verstorbene Choreografin Sybil Shearer. Die ist in Deutschland praktisch unbekannt, wird allerdings von Neumeier immer wieder als eine seiner wichtigsten Inspirationen genannt. Was einen zunächst überrascht, steht Shearer doch für eine minimalistische, zu ihrer Zeit sehr moderne Ästhetik, die ein bisschen im Widerspruch zur beim Ballett Hamburg gepflegten Neoklassik steht.

Hamburg Ballett: Ehrung auch für Edvin Revazov

In dem allerdings zunächst Aleix Martinez und Charlotte Larzelere zwei Shearer-Soli tanzen, um dann an das von Kevin Haigen geleitete Bundesjugendballett zu übergeben, das „In A Vacuum“ mit Rockband und Filmeinspielungen zum großformatigen Stück transformiert, wird klar: Doch! Shearer und Neumeier mögen unterschiedliche Ästhetiken bedienen, tatsächlich aber sind sich beide in ihrem Verständnis von Bühne nahe.

Und schließlich noch Ehrungen. Edvin Revazov, langjähriger Solist beim Ballett Hamburg und Gründer des Hamburger Kammerballetts mit aus der Ukraine geflohenen Tänzern, erhält den neu geschaffenen, mit 50.000 Euro dotierten John-Neumeier-Preis für Choreografie, das Kammerballett tanzt dazu eine Passage aus Revazovs eigener, deutlich in die Moderne ausgreifender Arbeit „Requiem“. Und der Hausherr selbst wird zum Ehrenmitglied der Staatsoper ernannt. Wozu Kultursenator Carsten Brosda spöttisch fragt, mit was er denn einen John Neumeier noch überraschen könne – „eigentlich ist er längst durchgeehrt“. Den Geehrten freut es dennoch.

Carsten Brosda (l.) ernennt John Neumeier zum Ehrenmitglied der Staatsoper Hamburg.
Carsten Brosda (l.) ernennt John Neumeier zum Ehrenmitglied der Staatsoper Hamburg. © Kiran West | Kiran West

Die Gala ist da längst zur reinen Publikumsfreude geworden. Mit dem kurzen „Opus 100 – für Maurice“, bei dem zunächst die 1996er-Urbesetzung Kevin Haigen und Ivan Liška tanzt, um dann an Alexandre Riabko und Ivan Urban zu übergeben – ein Beispiel für eine friedliche und freundliche Staffelübergabe an die nächste Generation. Und ein Hinweis auf nächstes Jahr, wenn Neumeier die Intendanz nach 51 Jahren an Demis Volpi übergeben wird. Und mit vier mitreißenden Songs aus „Yondering“ (1996), gesungen vom US-amerikanischen Bariton Thomas Hampson, der selbst tänzerische Qualitäten zeigt. Und zum Ende mit dem Schlussapplaus zu „Bernstein Dances“, der den Kreis zum Beginn dieses klug zusammengestellten Abends schließt. Und der so lustig, ironisch, sehenswert ist, dass schon das Ende einen Besuch bei dieser Gala wert ist. Als schließlich der Choreograf selbst auf die Bühne kommt und von seiner feiernden Kompanie auf Händen getragen wird, ist das ohnehin schieres Glück.

Hamburger Balletttage: Programm-Infos unter www.hamburgballett.de