Hamburg. Stefanie Reinsperger vom Berliner Ensemble brilliert in „Der Theatermacher“ am Schauspielhaus. Ein Stück, das in die Zeit passt.
Ein geschlossener roter Samtvorhang im Schauspielhaus – das hat doch was. Für einen Staatsschauspieler der alten Schule wie Bruscon sowieso. Mit einem Tusch schwingt er auf und offenbart: leider nur einen lang gestreckten Raum (den Fenstern nach zu urteilen ein ehemaliger Stall) mit gestapelten Plastikstühlen, heruntergefallenen Plakaten und einem Podest als Bühne, unter dem noch alter Dreck hervorlugt (Bühne: Hansjörg Hartung).
Großer Jubel für den Abgesang auf einen Theaterdespoten
Die Diskrepanz zwischen Bruscons Selbstwahrnehmung als „größten Schauspieler aller Zeiten“ und den Provinznestern, durch die er mit seiner Truppe tingelt, könnte kaum krasser ausfallen als in Oliver Reeses Inszenierung von „Der Theatermacher“.
Der gnadenlos scharfzüngige Thomas Bernhard hätte wohl seine Freude daran gehabt, liegt doch seinem Stück diese Fallhöhe zugrunde: hier der selbstverliebte, das klassische Theater und dessen Sprechkultur verklärende Bruscon, dort die Wirklichkeit mit ihren tatsächlich möglichen Auftritten für einen Gestrigen wie ihn.
Das Hamburger Theater Festival hat die Produktion des Berliner Ensembles eingeladen und damit einen echten Coup gelandet. Die Machtgefüge am Theater sind zurzeit ein Thema, diktatorisches Gebaren wird nicht mehr hingenommen. Ein Despot wie Bruscon gehört zu den Auslaufmodellen. Bernhard hat diesem Egomanen den Löwenanteil des Textes gegeben, er dominiert das Stück.
Stefanie Reinsperger ist als alternder grauhaariger Mann einfach eine Wucht
Bruscon wird von der 35-jährigen Stefanie Reinsperger gespielt. Und sie ist eine Wucht! Die Maske hat sie in einen alternden grauhaarigen Mann verwandelt. „Utzbach“ – der Name des 280-Seelendorfes, in dem Bruscon seine „Menschheitskomödie“ aufführen will – bleibt Reinsperger im Rachen stecken, bis er ausgekotzt wird. Bruscons Verachtungskaskaden für alles Provinzielle werden noch unterstrichen durch die stille Ratlosigkeit des Wirts (Wolfgang Michael).
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Doch Reinsperger gibt dem Theater-Despoten trotz der alles beherrschenden Breitbeinigkeit etwas Zartes. Spricht sie von der Kunst, strahlen die Augen. Die brüchige Stimme verrät die tatsächlich empfundene Einsamkeit des Schauspielers. Bruscons Zeit ist abgelaufen. Seine Familie, vor allem Dana Herfurth als porzellan-kalte Tochter und Christine Schönfeld als hustende Ehefrau, leistet bereits verdeckten Widerstand. Begeisterter Beifall.