Hamburg. Der Filmstar zeigt auf Kampnagel „Darwin’s Smile“ – Edutainment, Plädoyer für Toleranz und Hinterfragen des eigenen Handwerks.

Eigentlich hätte man auf Kampnagel wissen können, dass in Cannes Filmfestspiele stattfinden. Aber okay: Von den zwei geplanten Auftritten Isabella Rossellinis in Winterhude kann nur der am Sonnabend stattfinden, weil der Filmstar Freitag noch an der Côte d’Azur weilte. Was zur Folge hat, dass die riesige Halle K6 ausverkauft ist: Rossellini erschließt Fanschichten, die weit über das übliche Kampnagel-Publikum hinausgehen.

Die 70-Jährige zeigt „Darwin’s Smile“, ein Solostück, das sich mit den Untersuchungen von Charles Darwin auseinandersetzt, insbesondere mit dem 1872 erschienenen „Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren“. Ja, Rossellini hat ein Faible einerseits für Abseitiges, andererseits für Naturwissenschaften, das weiß man spätestens seit ihrem Regiedebüt „Green Porno“, in dem sie in Form von Kurzfilmen (und später auch in einer Theaterversion) das Sexualleben von unter anderem Schnecken und Spinnen beschrieb (und die jeweils behandelten Tiere in lustig selbst gemacht wirkenden Verkleidungen auch selbst darstellte).

Isabella Rossellini auf Kampnagel: Weiterentwicklung von „Green Porno“

„Darwin’s Smile“ ist gedanklich eine Weiterentwicklung von „Green Porno“ – wenn eine Schauspielerin eine kopulierende Gottesanbeterin darstellen kann, dann kann sie auch die Mittel ihrer Darstellung hinterfragen. Und zum Beispiel fragen, welche Mimik ein Tier einsetzt, wenn es sich freut oder wenn es genervt ist.

Der Abend ist so also das, was auch schon „Green Porno“ war – Edutainment, präsentiert von einer der wichtigsten Filmschauspielerinnen der Gegenwart. Er ist aber auch eine Studie über das Handwerk einer Schauspielerin. Und schließlich ist er eine überaus reizende Performance.

Isabella Rossellini auf Kampnagel: Sie macht sich zum Affen

Rossellini ist nämlich nicht nur ein Star, sie ist auch eine Künstlerin, die sich für nichts zu schade ist, solange es einen Effekt hat. Mit anderen Worten: Sie macht sich zum Affen, und zwar im wörtlichen Sinn, wenn sie in einem Gorillakostüm über die Bühne turnt (Ausstattung: Rudy Sabounghi). Das macht Spaß, weil man ihr anmerkt, dass ihr dieser Mummenschanz selbst großen Spaß macht.

Strukturell ist „Darwin’s Smile“ aufgebaut wie eine traditionelle Unterrichtsstunde: Vorne erzählt jemand Wissenswertes und würzt den Vortrag mit Videos und persönlichen Anekdoten. Aber weil Rossellini gar nicht so tut, als ob sie tatsächlich jemand mit wissenschaftlicher Autorität wäre, zieht sie eine weitere Ebene ein, die etwas zu tun hat mit dem Glamour der internationalen Filmwelt.

Isabella Rossellini auf Kampnagel: Super-8-Filme aus der Kindheit

Man glaubt ihr, dass sie sich schon als Kind für das Verhalten von Tieren interessiert habe, insbesondere, wenn man gleichzeitig auf flackernden Super-8-Aufnahmen (Videos: Andy Byers und Rick Gilbert) sieht, wie die kleine Isabella mit Hunden herumtollt, und man versteht auch, dass sie sich gerne intensiver damit beschäftigt hatte, allein: „Ich war nicht gut in der Schule und ging deswegen nicht zur Universität.“ Verständlich. Doch dass sie dann noch ein „Aber ich war sehr hübsch“ anfügt, das zeigt die Koketterie von jemanden, der es sich leisten kann.

Gleichzeitig ist „Darwin’s Smile“ ein augenzwinkerndes Plädoyer für sexualpolitische Toleranz. Indem sie Darwins Theorien referiert, übernimmt Rossellini zunächst dessen Gedanke, dass sich das gattungsspezifisch bessere Modell am Ende durchsetzen würde. Nur um dann die Zweifel des Biologen ebenfalls nachzuvollziehen. Wie kann es eigentlich sein, dass ein extrem unpraktisches Wesen wie der Pfau bis heute nicht ausgestorben ist, fragt sie – und stolziert in einem ganz reizenden Pfauenkostüm zum Mikro, nur um dann das Kostüm abzuwerfen. Dass der Mensch sexuelle Reize durch seine Nacktheit aussendet, sollte man schon erwähnen.

Isabella Rossellini auf Kampnagel: Provokation in Zeiten der Wokeness

Gleichzeitig wirft sie in ihrem Vortrag die biblische Schöpfungslehre über den Haufen. Klar, die Geschichte von Noahs Arche, in der von jeder Tierart je ein Paar mitgefahren sei, ist ganz nett, aber was macht Noah eigentlich mit Schnecken, die als Zwitter leben? Oder mit Muscheln, die alle um ein Weibchen zusammenklumpen, und wenn das Weibchen irgendwann stirbt, dann übernimmt ein Männchen die Frauenrolle? In Zeiten aufgeheizter Diskussionen um Identitätspolitik und Wokeness ist schon die Beschäftigung mit Darwin ein politisches Statement, und die Art, wie die – immer schon linksliberal engagierte – Rossellini dieses Statement setzt, ist grundsympathisch.

Gut 70 Minuten dauert der Abend, 70 Minuten, die vielleicht an manchen Stellen Kürzungen hätten vertragen können. Aber dass Regisseurin Murielle Mayette-Holtz auf diese Kürzungen verzichtet, ist gleichzeitig eine kluge Entscheidung. Weil Rossellini Gelegenheit braucht, abzuschweifen, weil sie vom Hölzchen aufs Stöckchen kommen muss beziehungsweise von der Schnecke auf den Affen, weil „Darwin’s Smile“ nur deswegen seinen Reiz ausspielen kann, wenn zwischendurch auch mal gelabert und auch mal ein Witz zu viel gemacht wird. Am Ende: riesiger Applaus. Denn das Publikum weiß, was für ein Star hier kurz aus Cannes eingeflogen ist – um ein paar Döntjes zu erzählen.