Hamburg. Das Tanzstück „Deux“ ist auf den ersten Blick spröde. Auf den zweiten Blick überzeugt es durch Intimität in Zeiten von Kontaktverbot.

Nach knapp einer Stunde, kurz vor Schluss, kommt Chris Leuenberger auf den Punkt. „Nina“, kündigt der Tänzer an, „ich würde jetzt gerne über unsere Beziehung reden.“ Was insofern bemerkenswert ist, weil Jenny Bey­ers Tanzstück „Deux“ bis zu diesem Punkt schon eine erschöpfende Studie war über Beziehungen, Berührungen, Anziehungen und Abgrenzungen, und jetzt möchte Leuenberger auch noch mit Nina Wollny darüber reden. Na gut.

„Deux“ ist der zweite Teil von Beyers „Trilogie der Begegnung“, einer dreiteiligen Untersuchung von klassischen Ballettformaten. „Début“ konzentrierte sich aufs Solo, geplant ist eine Arbeit zum Corps de Ballet, und aktuell geht es um den Pas de deux. Dass die Arbeit in Zeiten von Corona nur online gezeigt werden kann, ist das eine, dass aber auch die Entwicklung des Stücks durch die Pandemiemaßnahmen beeinträchtigt wurde, das andere: Beyer lebt in Hamburg, Leuenberger in der Schweiz, Wollny im norwegischen Trondheim.

Beyer und Leuenberger performen auf Kampnagel

Gemeinsame Proben mit Beyer und Leuenberger wurden immerhin noch durch eine Residency in Zürich ermöglicht, Wollny aber konnte ihren Wohnort nicht verlassen und musste per Videosoftware zugeschaltet werden. Die Studie über Beziehungen wurde so zu einer Durchleuchtung von Beziehungen in Zeiten der Beziehungslosigkeit. Corona-Tanz at its best.

Das Publikum sieht also Beyer und Leuenberger, wie sie auf Kampnagel kurze Bewegungsfolgen performen, meist auf klassischen Figuren basierende Skizzen, die freilich mehr Andeutung sind als echter Tanz. Wollny derweil wird live aus Trondheim zugeschaltet, ihr Spiel wird an die Bühnenwand projiziert. Manchmal vollziehen Beyer und Wollny Spiegelbewegungen, und plötzlich brechen diese Parallelen zusammen – von solchen Details lebt „Deux“, wenn die Synchronisierung sich auflöst, wenn sie sich wiederfindet, wenn sich also tatsächlich eine Beziehung zwischen den Tänzerinnen entwickelt und wieder verschwindet.

Unmöglichkeit von Begegnung angesichts von Kontaktverbot

Dabei ist der Abend über weite Teile nüchtern bis spröde: Lange Zeit tut „Deux“ nicht einmal so, als ob hier zwei Künstlerinnen über 1300 Kilometer Entfernung miteinander tanzen würden, Bey­er stellt ihr Nachdenken über Tanz als Bühneninstallation aus. Erst Leuenberger ist nach einer knappen halben Stunde ein Katalysator, der tatsächlich einen Kontakt ermöglicht. Der dann in so kurzen wie berückend schönen Fensterbildern ausgespielt wird, mit Blick auf eine nächtliche, verschneite Stadt, hoch im Norden.

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Beyer spielt mit der Unmöglichkeit von Begegnung und Berührung, angesichts von Kontaktverbot und Ausgehbeschränkungen. „Deux“ erweitert sich so über die reine Bewegungsstudie hinaus, gewinnt einen Moment der Sehnsucht: Ja, echte Beziehungen sind gerade nicht möglich.

Zutiefst intimes Stück auf Kampnagel

Aber wünschen darf man sich diese Beziehungen, man darf sie sich so sehr wünschen, dass der Wunsch schmerzhaft wird. „Ich würde jetzt gerne über unsere Beziehung reden“, meint Leuenberger kurz vor Schluss, nachdem sein Körper schon mehrere Berührungserinnerungen durchlebt hat, und spätestens jetzt hat man verstanden, was für ein zutiefst sehnsüchtiges, intimes, melancholisches Stück dieses auf den ersten Blick spröde „Deux“ eigentlich ist.

„Deux“ Livestream 9.4 bis 11.4., jeweils 20.00 auf kampnagel.de