Erst gab es „4 Blocks“, jetzt geht es für die Nachfolge-Serie in die JVA: „Asbest“ erzählt auf die harte Tour vom Gangsterleben.

Der halbe Spaß ist die Rhetorik. Kanak-Sprak nennen das manche, den Soziolekt der Migranten andere. Jedenfalls Gangslang, krasse Sprache, derber Ausdruck, da bleiben keine Fragen offen: „Er hat gesagt, er hat die Albaner gefickt, und als nächstes fickt er uns.“ So ist das bei den Clan-Rivalitäten, fressen oder gefressen werden ist die Devise. In Neukölln ist immer Krieg.

Das war in „4 Blocks“ so, dem deutschen Serienhit von Marvin Kren, Oliver Hirschbiegel und Özgür Yıldırım, der bis 2019 Berliner Kiez-Härte auf die Leinwand brachte. Das ist in „Asbest“ so, dem ab 20. Januar in der ARD-Mediathek abrufbaren „4 Blocks“-Nachfolger. „4 Blocks“-Hauptdarsteller Kida Khodr Ramadan führte Regie und spielt eine Nebenrolle selbst.

Einen Knast-Paten, der auch jenseits der Straßen Neuköllns die Fäden in der Hand hält. Ja, das Gefängnis als Erweiterung der Kampfzone auf begrenztem Raum: Dass Ramadan die deutsche Gangster-Geschichte noch nicht für auserzählt hält, erscheint schlüssig.

„Asbest“ in der ARD: Neun Jahre für den aufstrebenden Kicker

Sein Fünfteiler ist ein atemloser, nervös in Szene gesetzter Thriller, oft hart und beklemmend, und vor allem auch: in der Tradition von Kino- und TV-Epen wie Jacques Audiards „Ein Prophet“ oder der US-Serie „OZ“. Was ist für die Grenzerfahrung Gefängnis der ideale Gradmesser? Der mehr oder weniger unschuldige Häftling, der wie das Opfer zur Schlachtbank geführt.

Momo (in seiner ersten Rolle überhaupt: der Deutschrapper Xidir alias Koder Alian) ist ein aufstrebendes Fußballtalent, hat aber leider das Pech, von seinem diabolischen Onkel Ámar (Stipe Erceg) in die Scheiße geritten zu werden. Nach einem Raubüberfall, in den er durch falsch verstandenen Familiensinn involviert war, wird er verhaftet und zu neun Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Ganz im Sinne Ámars, der braucht nämlich jemanden, der für ihn im Knast das Dealen übernimmt.

Es kommt noch schlimmer für Momo, der sich fest vorgenommen hat, anständig zu bleiben. In die Kriminalität ziehen wollen ihn neben Ámars Handlangern („Ich bin dein Schutz, Habibi, verstehst du das, wir sind eine Familie“) auch andere Delinquenten. Neben dem Kurden (Kida Khodr Ramadan) ist das der Zuhälter Henry (Wotan Wilke Möhring), der sein Revier von draußen ebenso gerne drin verteidigen würde. Die Gesetze des Knasts, man muss da irgendwie durchkommen, Loyalitäten ablehnen und strategische Partner suchen.

Man ahnt zügig, dass Momo nicht unbefleckt aus dieser Sache hervorgehen kann. Schon bald hängt seine Freundin Daniela (Lulu Hacke), mit drin. Momos Glück erstmal, sie gibt nur allzu gern die Ganovenbraut, während sich ein tief in die Vergangenheit zurückreichender Konflikt zuspitzt.

"Asbest": Fußball als Hoffnung gegen Dresche, Druff und Druff

Klischees umschiffen will „Asbest“ (Drehbuch: Juri Sternburg und Katja Eichinger, nach dem Buch „Fairplay mit Mördern“ von Gerhard Mewes) gar nicht, so ist das auch im Serienfernsehen: Volle Welle Wiedererkennbarkeit muss nicht immer gleichbedeutend mit Stereotypen-Stumpfsinn sein. Wobei, wer weiß schon wirklich, wie es im Knast ist? In der Tempo-Erzählung „Asbest“ ist Fußball der Streifen Licht am dunklen Horizont aus Dresche, Druck und Druff.

Momo schluckt Pillen gegen den Schmerz, hat Glück, einen Platz im Küchendienst zu finden und kickt in der Knasttruppe. Sein Trainer (Uwe Preuss) dort glaubt an ihn, ebenso der neue Freund Wiktor (David Kross). Aber von außen zerren die Bösewichte an ihm, deren blutige Rivalität seit langem besteht. Über Momo braut sich was zusammen unter dieser unheilvollen Glocke aus Allianzen und Überlebenstrieb. Da bleibt kaum Luft zum Atmen.

Als Stress-Serie funktioniert das alles gut, enge Kameraführung, klaustrophobisches Setting, man spürt die Last des Helden bisweilen bis in die eigenen Gliedmaßen, die beim Binge-Watching ungelockert auf dem Sofa liegen. Ein Cast mit Möhring, Detlev Buck (als graue RAF-Eminenz im JVA-Trakt), Frederick Lau, Kross und anderen: Das ist ein Fußball-Knast-Krimi in Bestbesetzung.

Vom darstellerischen Furor lebt „Asbest“ dann auch weitgehend. Anatole Taubman als schmutziger, ständig französisch parlierender Wärter Peter Stoltz, Claudia Michelsen als pillenabhängige JVA-Chefin – das Personal ist akkurat auf verstrahlt getrimmt und auch komisch. Das sieht man gerne.

„Asbest“: Aggression ist ein Stahlbad

Da nimmt man auch in Kauf, dass es dramaturgisch bisweilen arg ruckelt. Die Gefängnistherapeutin als erzählerisches Hilfsmittel ist nicht wirklich notwendig. Wie aber Koder Alian seinen Knastneuling durch die bedrohliche Umgebung laviert, ist aller Ehren Wert: Aggression ist ein Stahlbad. Der soziologische Aspekt der migrantischen Gangsterrealität ist aber wie schon in „4 Blocks“ unterbelichtet.

Integration im Knast heißt, sich schmutzig zu machen. Draußen wird sie als kleinbürgerliches Angebot an die zweite Generation rundheraus abgelehnt. „Sind unsere Väter dafür hergekommen, dass ihre Söhne sich herumkommandieren lassen?“, posaunt der Straßengauner Ámar einmal in die Berliner Luft. Sein Neffe Momo kommt langsam, aber sicher dahinter, was für einen wie ihn vorgesehen ist: „Ich bin genau das, was ihr haben wollt, entweder der Vorzeigefußballer oder im Knast.“