Hamburg. „Die Rache der Fledermaus“ hat Glanzpunkte, ist aber insgesamt zu bemüht und bringt zusammen, was nicht zusammen passt.
„Das hier ist keine Operette!“ sagt der kleine Frosch vorwitzig. Gemächlich hüpft Cathérine Seifert im grünen Kostüm zu Beginn der Premiere von „Die Rache der Fledermaus“ auf die Bühne des Thalia Theaters, um dann zu einer langsam sich steigernden Suada anzusetzen über all das, was dieser Abend nicht ist, der „die Wunde der Welt zelebrieren“ will. Ausgerottete Arten. Nicht gelebte Existenzen. „Das hier ist eine Erinnerung an all die Leben die hier einmal existiert haben werden“, sagt der Frosch. Etwa an den Tasmanischen Tiger oder den Beutelwolf.
Thalia Theater: „Die Rache der Fledermaus“ hat Glanzpunkte
Das titelgebende Fledertier liefert die einzige Verbindung der unterhaltsamen Maskenball-Operette von 1874 des österreichischen Walzer-Königs Johann Strauß und eines 2021 veröffentlichten Zwischenrufs des Gegenwarts-Dramatikers Thomas Köck mit der Überschrift „Und alle Tiere rufen: Dieser Titel rettet die Welt auch nicht mehr“. Mehr Gemeinsamkeiten finden sich nicht und das ist auch ein wenig das Problem des von Regisseurin Anna-Sophie Mahler mit viel musikalischem Gespür inszenierten Abends.
Verzögert durch den Frosch-Prolog, den Cathérine Seifert mit hochgepitchter Stimme rezitiert, schnurrt die Operette dann doch noch vor den Augen der Zuschauer ab, naja, fast, auf jeden Fall während der ersten beiden Akte. Rosalinde (Gabriela Maria Schmeide mit Taubenmaske) will sich darin mit ihrem stattlichen Liebhaber Alfred (Julian Greis ebenfalls mit Taubenmaske) treffen. Da passt es, dass Rosalindes Ehemann Gabriel von Eisenstein (Felix Knopp) ins Gefängnis muss.
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In Wirklichkeit wird er aber, initiiert von Dr. Falke (Björn Meyer mit Federmauskostüm und dramatischer Darth-Vader-Stimme), auf ein Fest beim Fürstefuchs Orlofsky (Odin Biron) gelockt. Auch die Kammerzofe Adele (Victoria Trauttmansdorff) begibt sich unter einem Vorwand dorthin. Es kommt naturgemäß zum großen Showdown und zur Aufdeckung von Betrügereien und Liebeleien.
Maskierte Menschwesen erobern langsam die Thalia-Bühne
Die von Katrin Connan gestaltete Bühne liegt zu Beginn leer im Dunkel, nur auf einem Gaze-Vorhang heben sich die Schemen der bekannten Waldbewohner Wildschwein, Hase, Hirsch und Eule ab. Wie von einer Nachtkamera erfasst, wirken sie, gleichsam wie Schemen einer vergangenen Zeit. Gelegentlich huscht per Video eine Fledermaus vorbei. Langsam erobert sich das Operettenpersonal als maskierte Menschenwesen die Bühne.
Und das offenbart zunächst einmal ein Fest der Gewerke. Allein schon die von Pascale Martin farbenfroh arrangierten Tier-Kostüme sind ein Hingucker. Auch kein Wunder, dass für die komplizierten Masken mit Julia Wilms, Esther Chahbaznia, Maria Graf und Judith Rauprich gleich vier Fachleute verantwortlich sind.
Gabriela Marie Schmeide hat im langen Glitzerkleid nicht nur eine glamouröse Ausstrahlung, sondern kann auch hinreißend Arien singen. Herzerwärmend übermittelt ihr Julian Greis seine Liebe, wenn er sie als „holdes Täubchen“ besingt. Odin Biron gibt in kurzer Kunstfelljacke einen verführerisch lasterhaften Fürst Orlofsky, der gern sich Gäste einlädt. Er glänzt nicht nur als Countertenor, sondern auch an der Violine. Felix Knopp dagegen flüchtet sich arg in die Übertreibung und wirkt als Gabriel von Eisenstein wie ein Unsympath auf Speed.
Wer die Wiener Operettenseligkeit und den ihr eigenen Humor schätzt, bekommt die Gassenhauer beeindruckend, wenn auch milde persifliert geboten – und glänzend gespielt von einer fünfköpfigen Live-Band. Höhepunkt wird schließlich die Kostümparty, für die sich eine silbrig glänzende Treppe in den Vordergrund schiebt, um bald darauf von den Partygästen erobert zu werden. Natürlich auch, um irgendwann effektvoll vom obersten Podest herunterzufallen.
Die Texte wirken zunehmend bemüht
Eine Schnittmenge zu den eingestreuten Köck-Texten will sich jedoch nicht herstellen. Der Graben zwischen leichtfüßiger Unterhaltung und existenzieller Not des Planeten und seiner Bewohner – er könnte größer nicht sein. Weltuntergang im Dreivierteltakt.
Die Texte wirken zunehmend bemüht und am Ende auch sehr moralisierend etwa über die Nahrungsprobleme des vom Aussterben bedrohten Spatzes. Gipfelnd darin, dass Cathérine Seiferts tapferer Frosch die verschwundenen Arten allein durch das Aussprechen ihrer Namen noch einmal in die Gegenwart holt. Von der karibischen Mönchsrobbe bis zur Weißfußkaninchenratte.
Mit dem „Lacrimosa“ wird schließlich das ganz dicke Pathos-Brett gebohrt
Es offenbart schon bittere Ironie, wenn dann, gemeinsam mit dem Publikum „Glücklich ist, wer vergisst,/ Was doch nicht zu ändern ist“ gesungen wird. Doch es kommt noch dicker. Am Ende stimmt der hervorragende Chor Klub Konsonanz das „Lacrimosa“ aus Mozarts „Requiem“ an und bohrt damit das ganz dicke Pathos-Brett. Als Kommentar der Verzweiflung zu den kunstvoll-sperrig gedrechselten Köck-Zeilen „All die Felle/ all diese Flossen/ all diese Krallen/ die nie die Ufer dieses Planeten werden berührt haben“.
Am Ende des Abends bleibt die ernüchternde Erkenntnis, dass die Rettung der Welt keinesfalls auf den Bühnenbrettern stattfinden wird. Auch nicht mit dieser „Fledermaus“.
„Die Rache der Fledermaus“ weitere Vorstellungen am 25.11., 4.12., 11.12., 15.12., 26.12., 16.1., 17.1., Thalia Theater, Karten unter T. 32 81 44 44: www.thalia-theater.de