Hamburg. Als würden kleine Wesen über die Haut trippeln: Das Konzert mit dem London Philharmonic Orchestra war ein Abend für Geist und Körper.

Da muss ein geheimer Zauber im Spiel sein. Wenn die Klarinetten zu Beginn von Mendelssohns Ouvertüre „Das Märchen von der schönen Melusine“ ihre Sechzehntelfiguren aus der Tiefe emporsprudeln lassen, fühlt es sich beim Hören an, als würden kleine Wesen über die Haut trippeln und jedes einzelne Nervenende betrommeln. Und ehe man begreift, was hier vor sich geht, ist man schon mittendrin in der Geschichte, die das London Philharmonic Orchestra unter der Leitung seines Chefdirigenten Edward Gardner in der Elbphilharmonie erzählt.

Einer rein musikalischen Geschichte übrigens. Den Streit zwischen dem Komponisten und seinen wohlmeinenden Exegeten, ob er wirklich ganz programmatisch „schießenden Fischen mit Goldschuppen, Perlen in offenen Muscheln“ (O-Ton Robert Schumann) Gestalt verliehen habe, lassen wir einmal beiseite und freuen uns darüber, wie plastisch die Beteiligten die Figuren formen, wie sie einander die Motive anreichen, wie sie einander zuhören. Was an diesem Abend in der Elbphilharmonie zu hören ist, ist ein Orchester, das sich auf eine unerhört lebendige Art des Musizierens einlässt, wie sie nur möglich ist, wenn alle innerlich wollen und einander vertrauen.

Elbphilharmonie: Anne-Sophie Mutter und Pablo Ferrández im beeindruckenden Doppel

Der Saal ist also gewissermaßen bereits in Sektlaune, als Anne-Sophie Mutter, mit ihrer Geige jede Saison vielfach bei ProArte zu Gast, und der junge Cellist Pablo Ferrández für das Doppelkonzert von Brahms dazukommen. Ach, das gute alte Doppelkonzert. Es ist so raffiniert gebaut und so schwer zu spielen, und das merkt man leider oft. Aber nicht an diesem Abend.

Mutter und Ferrández haben hörbar großes Vergnügen nicht nur an der horrenden Virtuosität ihrer Partien, sondern auch und vor allem am Zusammenspiel. Sie nehmen sich Freiheit, drängen nach vorne oder halten inne, schattieren die dynamischen Feinheiten ab und verweben ihre Stimmen miteinander, aber auch mit denen des Orchesters.

Ferrández spielt sich nirgends in den Vordergrund. Seine Expressivität kommt einfach von innen und führt bisweilen dazu, dass er Mutter, die seit Jahrzehnten gestandene Solistin, überflügelt. Und das Tutti entfaltet unter dem phänomenal inspirierten, präzisen und dabei gänzlich unprätentiösen Schlag Gardners eine hinreißende Spielfreude.

Konzert in der Elbphilharmonie – ein reiner, obertonreicher Ensembleklang

Die Siebte Sinfonie von Dvořák ist ein Schlager des klassischen Repertoires. An diesem Abend aber klingt sie brandneu, so sehr laden die Künstler sie mit Ausdruck auf. Die dvořák-typischen Kantilenen lässt Gardner gelegentlich einen Wimpernschlag länger auf dem Hochpunkt verharren, als man es glaubt ertragen zu können. Die Streicher artikulieren, phrasieren, atmen organisch gemeinsam.

Jedes Pizzicato, das Zupfen der Instrumente, ist perfekt zusammen und wunderbar von der Kontrabass-Fraktion gestützt. Frei und drucklos strömt der Klang der Soloflöte, das Horn singt, die Holzbläser machen feinste Kammermusik und zeigen sich schon dadurch als Team, dass niemand sich für seine Soli intonatorisch auf die Zehenspitzen stellt. Das ergibt einen ganz reinen, obertonreichen Ensembleklang.

Ein Abend für Seele, Geist und Körper. So sollte es immer sein. Aber wenn es so ist, ist es ein Geschenk.