Hamburg. Musikalischer „Letzter Ritt nach San Fernando“ gerät noch turbulenter als geplant. Das liegt auch an den beiden virtuosen Rampensäuen.

Dieser Tage, genau genommen am 8. August, feiert das Schmidt Theater seinen 34. Geburtstag. Doch so weit in die Vergangenheit und gen Westen wie mit der neuen Produktion ging es in der Geschichte der Hamburger Bühne für schräge Unterhaltungskunst lange nicht: Im Jahr 1882 herrscht in der einstigen Goldgräberstadt San Fernando tote Hose.

Gilt auch für den bunten Saloon „Zum dreibeinigen Pony“. In dem ist die desillusionierte Barsängerin Caro Coquette (Selbstbezeichnung: „Wie die frittierten Kartoffeln, nur ohne ;r’“) meist ihr einziger Gast . Bis ein namenloser Fremder auftaucht und ihr Herz anfängt, laut zu pochen.

Publikum im Schmidt Theater wird auf turbulente Reise geführt

„Der letzte Ritt nach San Fernando“ nimmt das Publikum mit auf eine überaus turbulente Reise, die zwei Darsteller zusammenführt, die sich im Schmidt und Schmidtchen bereits in „Oh Alpenglühn!“ und „Entführung aus dem Paradies“ aufein­ander verlassen konnten. Dass sich Carolin Fortenbacher und Nik Breidenbach auch aufeinander verlassen müssen, zeigte die von einigen Texthängern und kleinen Pannen überlagerte Uraufführung.

Das Publikum feierte die beiden singenden Schauspieler dennoch, als gäbe es kein Morgen. Da war der „Sommerwein“ (frei nach dem Original „Summer Wine“) schon musikalisch heruntergespült und „Der wilde wilde Westen“ (Truck Stop) vom Duo kräftig aufs Korn genommen worden. Alles trotz einer offenbar erschwerten und (zu) knappen Probenzeit.

Breidenbach schießt mit Worten zurück

Doch improvisieren, insbesondere über sich selbst lachen können diese beiden virtuosen Rampensäue – das macht nicht nur ihnen Freude. Obwohl sie das Überbrückungsspiel im mit fast 80 Minuten zu langen ersten Teil dieses Western-Comics am Premierenabend zu sehr ausreizen und immer mal wieder gern aus der Rolle fallen, sieht man es la Fortenbacher nach, wenn sie etwa als kleiner Revolverheld Looki Lack knieend im rotem Anzug und mit Lack-Hut stöhnt: „Ich kriege einen Krampf!“ Statt mit Kugeln schießt Breidenbach als namenloser Loser außerplanmäßig mit „Ich bin auch in einem Alter, in dem man die Gelenke knacken hört“ verbal zurück.

Noch lustiger ist Fortenbacher als Koch Komm-Um Kim aus dem „fernen Osten“, wenn sie im Asia-Zwirn unter dem angeklebten Schnauzer permanent sächselt und die Klapperschlange-Suppe am köcheln halten muss. Musikalisch stilecht klingt sie, wenn sie als blonde Barsängerin der Country-Queen Dolly Parton mit „Nine To Five“ und „Nicht den“ (im Original: „Jolene“) Konkurrenz macht und diese choreografisch sowie in Sachen Beweglichkeit im übertragenen Sinn in die Wüste schickt. .„Ich liebe dein Hocker-Rodeo“, merkt Breidenbach ob ihrer saukomischen und akrobatischen Versuche, einen Barhocker zu erklimmen, außer der Reihe treffend an.

Auch ein ABBA-Klassiker darf nicht fehlen

Er selbst verbreitet als Puffmutter Deliah Fatale musikalisches Schlager-„Feuer“ und würde mit lila Perücke, lila Kleid, lila Pumps und lila Gewehr (!) auf St. Pauli Draqqueen Olivia Jones arm wie eine Kirchenmaus wirken lassen. Als vermeintlicher Revolverheld Big Nightenbach liefert Breidenbach zudem inbrünstige Parodien auf Musicals wie „Rebecca“ und „Jekyll & Hyde“. Und weil Carolin Fortenbacher als Musical-Königin („Mamma Mia!“) im hohen Norden und darüber hinaus bekannt geworden ist, darf der ABBA-Klassiker „Money Money Money“ im zweiten Teil natürlich nicht fehlen. Mit ihrem noch immer klaren Sopran und ihrer (verstellten) Stimme für verschiedene Rollen gelingt ihr einmal mehr das Wechselspiel zwischen anspruchsvollem Gesang und teils derber Komik.

Für sie sieht das Textbuch Anzüglichkeiten und Kalauer, aber auch Seitenhiebe auf die drei Autoren („Was haben die bloß geraucht?“) durchaus vor. Außer Breidenbach haben Andreas Bierkamp und Henning Mehrtens eine hanebüchene Story ersonnen, in der es letztlich um eine Schatzkarte und familiäre Verstrickungen gilt. „Ich würde mich wundern, wenn das Stück jeden Abend so läuft“, kommentierte Regisseur Corny Littmann die Uraufführung ironisch auf der Bühne: „Aber eine gewisse Ähnlichkeit zu heute sollte zu erkennen sein.“

Schmidt Theater: Littmann weiß Darsteller zu schätzen

Vor allem weiß der Hausherr, was er an seinen beiden Darstellern hat. Denn in San Fernando gilt eben nicht das alte Western-Motto: „Diese Stadt ist zu klein für uns beide.“ Stattdessen heißt es bei dieser verrückten Spaßvariante anno 2022: Die eine wäre nichts ohne den anderen. Und umgekehrt.

„Der letzte Ritt nach San Fernando“ wieder Sa 6.8., 20.00, So 7.8., 19.00, bis 9.9., Di-Do, jew. 19.30, Mi+So, 19.00, Fr/Sa 20.00, Schmidt Theater, (U St. Pauli), Spielbudenplatz 24/25, Karten ab 27,90 unter T. 31 77 88 99; www.tivoli.de