Hamburg. Die neue One-Man-Show des Stars: „Top Gun Maverick“ bringt die 80er zurück – nur die Machosprüche sind nicht mehr so frauenfeindlich.

Es sollte eigentlich nur ein Witz sein. Am Ende von „Top Gun“ (1986) wurde Tom Cruise gefragt, was er jetzt, nachdem er in der Elite-Einrichtung zum Superpiloten ausgebildet wurde, tun wolle. „Ich glaube, als Ausbilder könnte ich ganz gut sein“, parierte er, und dem Vorgesetzten entglitten die Gesichtszüge: „Gott steh uns bei.“ Hatte sich Cruise als Pete Mitchell mit Kampfnamen Maverick doch stets als Hasardeur erwiesen und die Ordnung der Schule gehörig auf den Kopf gestellt. Nun aber kommt Maverick tatsächlich zu der Elite-Schule zurück. Als Ausbilder.

Sollte es jemanden geben, der „Top Gun“ wirklich noch nie gesehen hat? Es war einer der erfolgreichsten Kino-Hits der 1980er-Jahre. Er entführte in eine reichlich testosterongeschwängerte Sphäre junger, wilder, verdammt gut aussehender Alphamännchen.

Kino: „Top Gun“ brachte Cruise nach Hollywood

Ein typischer Jungsfilm: Überflieger und ihre Maschinen, Flieger in der Luft, Motorrad auf der Straße. Und ein schamloser Werbefilm war es auch: Das US-Verteidigungsministerium hat die Herstellung damals kräftig unterstützt, bei den atemberaubenden Flugszenen saßen echte Navy-Piloten am Steuer. Tatsächlich soll es danach einen sprunghaften Anstieg an Bewerbungen und Militärbegeisterung gegeben haben. Am meisten aber profitierte Tom Cruise von dem Film. Mit nur 24 Jahren kam er damit nach ganz oben, in die A-Liga von Hollywood.

Maverick will auch im Cockpit beweisen, was er noch draufhat.
Maverick will auch im Cockpit beweisen, was er noch draufhat. © Paramount | Paramount

Es ist indes schon vier Jahre her, seit der letzte Film des Superstars ins Kino kam. Das war der sechste „Mission: Impossi­ble“-Film: „Fallout“. Bei einem der vielen Verfolgungsszenen, die Cruise wie immer selbst absolvierte, hat er sich schwer verletzt. Hat er deshalb so lang pausiert? In sechs Wochen jedenfalls, am 3. Juli, wird er 60. Er kommt also in die Jahre. Und muss sich, wie jeder Action-Star, die Frage gefallen lassen, wie lange er das eigentlich noch durchhalten will. Und das macht „Top Gun Maverick“ so spannend: Weil er nicht nur eine würdige Fortsetzung ist, die jeden Fan des Originals beglückt, sondern weil er diese Frage unentwegt selbst stellt.

Tom Cruise in der Rolle des Coach Maverick

Gleich anfangs sehen wir Maverick einen neuen Prototyp testen. Die Geschwindigkeit wurde schon bis Stufe acht erprobt. Jetzt wäre Stufe neun dran. Aber ein Befehlshaber hat die Mittel gestrichen und will den Testflug stoppen. Klar, dass Maverick schnell noch abhebt. Aber er probt nicht Stufe neun, sondern gleich zehn. Und schafft das natürlich, so viel darf man verraten. Das Bodenpersonal salbt ihn schon: „Er ist der schnellste Mensch der Welt.“ Und zehn, das weiß man ja spätestens seit dem Film „Ten – Die Traumfrau“, ist das Äußerste. Mehr geht nicht. Nein? Cruise dreht weiter auf. Und kommt bis 10,4. Das Fluggerät übersteht das nicht: Der Pilot aber schon. Ihm kann keiner.

Weil er stets ein Problem mit Obrig­keiten hatte und lieber tollkühne Alleingänge machte, ist Maverick in der Navy nie weitergekommen. Hat statt Orden Disziplinarverfahren gesammelt. Auch jetzt würde ihn sein Vorgesetzter am liebsten rauswerfen. Stattdessen wird er zurück zu Top Gun beordert. Es geht um ein Himmelfahrtskommando. Aber Maverick soll nicht selber fliegen. Er soll die Next Generation trainieren. Das kratzt natürlich am Ego. Und so muss Cruise einen ganzen Film lang aufdrehen und beweisen, dass er immer noch mithalten, nein, dass er immer noch etwas höher, besser, schneller ist als die anderen. Mister 10+ sozusagen.

Parallelen zwischen Tom Cruise und seiner Rolle

Er wird seine Zöglinge nicht nur am ­Boden trainieren, sondern plötzlich auch unter ihnen fliegen – und zwischen ihnen hindurch. Und wenn wieder, wie im ersten Film, halb nackte Kerle im Sonnenuntergang Beachvolleyball spielen, spielt er mit und stellt auch seinen gestählten Körper aus. Die Botschaft ist eindeutig: Ich bin immer noch einer von euch.

Dann wird sogar noch mal Val Kilmer bemüht, mit dem Cruise 1986 noch darum gebalzt hat, wer der Bessere ist. Kilmers Iceman hat es bis zum Flottenadmiral gebracht, ist inzwischen aber aufgeschwemmt. Todkrank. Und kann kaum noch sprechen und stehen. Der Konkurrenzkampf ist damit ein für alle Mal geklärt. Aber Iceman sagt ihm – oder schreibt es vielmehr auf, weil die Stimme nicht mehr trägt: „Du musst lernen, abzugeben.“ Und das ist etwas, was nicht nur Maverick, sondern auch Tom Cruise dringend lernen muss.

„Top Gun Maverick“ ist voller Nostalgie. Die Eighties sind zurück, auch die Lederjacke und der Soundtrack von einst. Die Machosprüche sind nicht mehr ganz so frauenfeindlich. Unter den Piloten gibt es nun auch eine Frau. Und Sprüche, die sich Maverick früher anhören musste, spricht er nun selber aus. So ändern sich die Zeiten. Auch der Feind ist nicht mehr so klar zu orten. Auch wenn wir heute wieder in einem neuen Kalten Krieg sind wie in den 1980ern, geht es diesmal nicht mehr gegen die Russen.

Wer fehlt in diesem Film, ist Kelly McGillis, das Love-Interest von einst. Stattdessen gibt sich nun Jennifer Connelly Maverick hin, die ihn aber auch ein neues Gefährt zu steuern lehrt: ein Boot zu Wasser. Da wird der Meister also schon zum Schüler. Und dann gibt es auch unter den Jung-Piloten denselben Balztanz wie einst, wer der Bessere ist: zwischen Hangman (Glen Powell) und Rooster (Miles Teller). Letzterer ist der Sohn von Goose, der einst Mavericks Freund und Kopilot war und im ersten Teil in dessen Händen starb. Rooster hält Maverick für schuldig am Tod seines Vaters. Konflikte sind also vorbereitet. Und das sind schon mal zwei Geschichten mehr als beim Original.

Der neue Top Gun: Maßgeschneidert für Cruise

Klar: Tom Cruise hat den Film, wie immer, selbst produziert. Und am Drehbuch schrieb, wie an jedem Cruise-Film seit „Operation Walküre“ (2008), Christopher McQuarrie mit. Auch dieser Film ist dem Star also wieder auf den Leib geschrieben, zu viel wird also nicht am Image gekratzt. Und doch wird Cruises Figur ständig erklärt, dass seine Zeit vorbei ist. Das macht den Film nicht nur für seine Fans interessant, sondern gerade auch für all die, die den Scientology-Star eher kritisch sehen.

Cruise muss hier, wie schon in seinen „Mission: Impossible“-Filmen lernen, vom Einzelgänger zum Teamplayer zu werden. Wahrlich eine unmögliche Mission. Das macht diesen Film, bei dem Joseph Kosinski Regie führte, sogar noch vielschichtiger als den ersten Teil, den noch Tony Scott inszenierte. Aber natürlich ist auch dieser Film wieder vor allem eine One-Man-Show seines Stars. Der natürlich auch wieder selbst im Cockpit saß. Als Nächstes stehen sogar gleich zwei neue „Mission: Impossible“-Filme an. Ganz klar: Der Star sieht sich noch immer als eine Zehn. Oder darüber hinaus.

„Top Gun Maverick“ läuft ab Donnerstag im Astor (OmU), Savoy (OF), den Cinemaxx- und UCI-Kinos, Blankeneser und Hansa; Previews gibt es teilweise bereits am Mittwochabend.