Hamburg. Euphorie von 12.000 Fans: Großbritanniens Pop-Superstar Dua Lipa verwandelte die Barclays Arena in einen unfassbar lauten Hexenkessel.
„Madonna ist wie Kylie, absolut“, diskutiert ein Pärchen am Montag im Vorbeigehen auf dem Raucherbalkon der Barclays Arena. Was könnten die beiden meinen? Dass eine Pop-Diva wie die andere ist? Kennst du Beyoncé, dann kennst du auch Rihanna, Miley Cyrus, Ariana Grande – und keine kann gegen P!nk anstinken? Das ist natürlich kompletter Quatsch und hieße ja, dass auch Rockbands sämtlich austauschbar sind.
Wie auch immer, Star der Stunde ist an diesem Abend in der Barclays Arena die Londoner Sängerin Dua Lipa. 2016 wurde sie einige Monate vor Erscheinen ihres Debütalbums „Dua Lipa“ in „Inas Nacht“ vorgestellt und trat im Mojo Club und im Docks auf. Jetzt, bei ihrer Rückkehr, zwängen sich 12.000 völlig entfesselte Fans in die fast ausverkaufte Arena. Ein Raketenaufstieg, der besonders seit März 2020 und dem zweiten Album „Future Nostalgia“ und Welthits wie „Don’t Start Now“ an Tempo gewonnen hat.
Während in der Pandemie der Popnachwuchs, die Indie-Genres und die kleinen und mittleren Clubs in leere Töpfe blickten, konnten Dua Lipa, ihre unüberschaubare Entourage aus Produzenten und Songwritern, ihr Label und die Tourveranstalter reichlich Sahne abschöpfen. Wir reden von Milliarden Streaming-Zugriffen und multimillionenfach abgesetzten Alben und Singles. Die Reichen werden in schlimmen Zeiten eben noch reichlicher reich. Krise kann auch geil sein.
Dua Lipa in Hamburg: 100 Minuten lang ist der sehr, sehr bunte Abend
Und los geht die wilde, 100 Minuten lange Fahrt durch einen Soundkosmos zwischen Lady Gaga, Blondie, Jamiroquai, Prince und Kyliedonnacé. Videoeinspieler im Stil von 80er-TV-Serien stellen die zehn Tänzerinnen und Tänzer vor, in einer Bühnenecke stehen vier Bandmusiker zusammengedrängt wie Schafe, wenn es donnert. Gegenüber haben auch noch vier Background-Sängerinnen und Sänger sowie eine Keyboarderin Platz. „Physical“ und „New Rules“ läuten den bunten Abend ein. Einen sehr, sehr bunten Abend.
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Auch wenn Corona rausgerechnet wird, hat man so etwas schon lange nicht mehr in der Barclays Arena erlebt: Die Fans, von der ersten Reihe bis zu den in der dünnen Höhenluft schwer atmenden Gästen in der obersten Reihe im Oberrang, stehen von der ersten Minute an und werden sich bis zur letzten Zugabe auch nicht mehr setzen. Weder in einer der vielen Umziehpausen des in vier Akte unterteilten Konzerts noch bei Rollerskate-Einlagen des Tanz-Ensembles und schon gar nicht bei Krachern wie „Love Again“. Als Dua Lipa bei „Be The One“ Mitsingspiele startet, fliegt fast das Hallendach weg, so laut ist das Publikum. Unglaublich. „Ihr seid die absolut Besten, ich liebe Hamburg“, bedankt sich die Sängerin.
Sexismus? Feminismus? Eine Frage der Perspektive
Bemerkenswert ist allerdings auch, was Dua Lipa abgesehen von der Musik auf der Bühne abzieht. Da taumelt doch so einiges am Abgrund des Sexismus entlang: Die Kostüme sind sehr dünn und sehr transparent. Zwischendurch reitet Dua Lipa ihren Mikrofonständ… ihren Mikrofonhalter wie einen … Hexenbesen. Im Takt der Cowbells des Schlagzeugers lässt sie Teile ihres Oberkörpers kreisen.
In manchen Fan- und Kritikerkreisen gilt sie durch ihre Selbstinszenierung, ihre Haltung und Songs wie „Boys Will Be Boys“ als Ikone des modernen Feminismus. Aber kombiniert mit der Liveshow wirkt das wie Marketing-Sprech, wie der Teil eines Businessplans. Ist es feministisch, wenn die Tänzerinnen aufgesprühte, hauchdünne Ganzkörperanzüge tragen, die Tänzer hingegen in unförmigen XXL-Kartoffelsäcken herumhüpfen müssen?
Kombination aus stylishen 80er-Zitaten und Disco-Geschmacklosigkeiten
Aber es gibt noch genug anderes zu sehen, zu hören und zu erleben. Laserstrahlen fetzen an der Netzhaut entlang, ein großer aufblasbarer Hummer schaukelt hin und her, und Dua Lipa und ihre Tänzerinnen und Tänzer verdrehen sich in immer neuen Choreographien. Die Kombination aus stylishen 80er-Zitaten und Disco-Geschmacklosigkeiten machen die Show zu einer Mischung aus Eurovision Song Contest, „Riverdance“ und „Germany’s Next Top Model“-Finale.
Da fehlen auf der Videoleinwand nur noch Werbeeinblendungen für Handtaschen (Vogue: „Dua Lipa trägt die It-Bags der Stunde“) und Parfüms. Stattdessen grüßt als Einspieler der gute alte Sir Elton John bei der Präsentation der gemeinsamen Single „Cold Heart“. Das gewitzte wie gelungene Liederpuzzle aus den Elton-Klassikern „Sacrifice“, „Rocket Man“, „Kiss The Bride“ und „Where’s The Shoorah?“ kommt auch beim überwiegend jüngeren Hamburger Publikum sehr gut an, „Shoorah, Shoorah“ schwappt als Chor durch die Ränge.
Dua Lipa in Hamburg: Wie ein UFO senkt sich eine Bühne von der Decke herab
Es geht auf das Ende zu, Zeit, die ganz großem Effekte hervorzuzaubern. Wie ein UFO senkt sich eine Minibühne von der Hallendecke herab, um Dua Lipa aufzunehmen und sie zu „Levitating“ in die Höhe zu fahren. Die erste Zugabe „Future Nostalgia“ feuert aus allen Laserkanonen wie die ganze Sternenflotte. Und „Don’t Start Now“ holt noch einmal alles aus den Tanzbeinen und Kehlen. Der Schluss einer so generischen wie abwechslungsreichen Show. Kein Vergleich mit der derzeit unübertrefflichen P!nk, klar. Aber die ist ja längst in der Lage, das benachbarte Volksparkstadion zu füllen. Wer weiß: Vielleicht entschwebt Dua Lipa auch noch in solche Dimensionen. Den dafür nötigen Unterhaltungswert hat sie zweifellos.
Am Ausgang der Barclays Arena werden übrigens Gratis-Parfümproben einer französischen Luxusmarke verteilt: „Spüre grenzenlose Freiheit und entfache feurige Weiblichkeit. Sexy. Kühl. Floral“. Was in gewisser Weise zu diesem Konzert passt.