Hamburg. Die international gefeierte Hamburger Sängerin schließt ihre Tournee mit zwei Heimspielen ab. Enthusiastische Reaktionen vom Publikum.
In Musikforen und in Gesprächen mit Künstlerinnen und Künstlern sind es nicht selten die schönsten Geschichten: Erzählungen von den ersten Auftritten und Touren. Es ist die harte Schule zwischen trockenen Käsebrötchen unter Folie in verrauchten Verschlägen, die sich Livemusikkneipe nennen. Jugendzentren, abgewetzt wie der Belag des antiken Billardtisches in der Ecke. Auftritte für Benzingeld vor drei zahlenden Gästen am Ende der Welt, die sich was von Marius wünschen, „Sexy“ natürlich. Und alles, vom „Tourbus“ (ein rostiger Sprinter mit Anhänger) bis zur Bühne riecht nach an Raststätten gewaschenen Socken.
Emotionales Konzert von Zoe Wees im Grünspan
Man kann Zoe Wees sowohl beneiden als auch bedauern, dass sie diese Phase einer Karriere einfach übersprungen hat. Sie begann ihre erste Tournee im März im Frankfurter Kultclub Batschkapp und reiste quer durch die Schweiz, Österreich und Deutschland bis zurück in ihre Heimatstadt Hamburg, wo zwei ausverkaufte Abende im Gruenspan am Dienstag und Mittwoch das große Finale bilden. Sehnlich wird sie dort erwartet, die Schlange vor dem Club in der Großen Freiheit reicht am Dienstagabend die Simon-von-Utrecht-Straße entlang bis hinein in die Talstraße. Die Einlasskontrollen inklusive 2G+-Check brauchen ihre Zeit. Im Gruenspan herrscht keine Maskenpflicht, aber mehr als die Hälfte behält die Masken lieber auf, es ist eng und stickig.
Corona schob Zoes Konzertreise lange einen Riegel vor
Alle im Gruenspan haben extremen Nachholbedarf, sowohl die knapp Tausend Fans als auch Zoe Wees selber. Im März 2020 ging das Lied „Control“ der in Dulsberg aufgewachsenen Sängerin auf YouTube, TikTok und Instagram international viral, und seitdem arbeiten die Big Player der Label- und Konzertbranche am Aufbau eines neuen Stars. Ihre ersten Auftritte hatte Wees, Jahrgang 2002, nicht in Musikkneipen oder Jugendzentren, sondern in US-Shows wie „The Late Late Show with James Corden“, „The Tonight Show starring Jimmy Fallon“ und auch als erste deutsche Sängerin bei den „American Music Awards“. Aber richtige Konzerte vor Publikum, da schob Corona lange Zeit einen Riegel vor, und Wees konnte es kaum erwarten, endlich da zu landen, wo eine Künstlerin mit ihrem Talent hingehört. Vor die Leute.
Die Leute sind sofort da, als Zoe Wees und ihre sechsköpfige Band im Gruenspan mit „Ghost“ und „Overthinking“ einsteigen. Enthusiastische Reaktionen, Jubel und Applaus. Schon die Proben mit Liveband waren für Wees besondere Momente, wie sie kürzlich im Abendblatt erzählte: „Als ich das allererste Mal auf die Bühne gehen konnte und live singen konnte, mit meiner Band und meinem Sound, das war ein magischer Moment.“ Jetzt ist sie fast sprachlos bei ihrem Heimspiel: „Hamburg, was geht?“. Einiges.
Auch ohne Album reicht das Songprogramm für 90 Minuten Show
Das Publikum ist bunt gemischt, sogar viele Kinder im Schulalter sind da und erleben Zoes Ode „Rich Kids“ an ihre Mutter. Die anwesenden Kids können einem leid tun, denn im ausverkauften Gruenspan etwas zu sehen ist auch für groß gewachsene Menschen eine Herausforderung. Aber auch das Hören macht Spaß in diesem ehrwürdigen Kiezgemäuer.
Bislang sind von Wees nur die EP „Golden Wings“ (2021) und einige Singles erschienen, das Debütalbum ist immer noch in Arbeit. Viele Lieder auf der Setlist sind demnach noch unveröffentlicht. Aber für 90 Minuten Show ist bereits genug Musik vorhanden. Das ist schon ungewöhnlich, viele Newcomer kommen mit Mühe und einigen Coverversionen gern mal auf eine kompakte Stunde Programm.
Sogar die Sanitäterinnen singen mit
Die überproduzierten, auf die USA abzielenden Arrangements der bislang erschienenen Studioversionen werden ihrer mal rauchigen, mal brüchigen und mal direkt jeden Panzer um das Herz erschütternden Stimme nicht immer gerecht. Aber auf der Bühne, begleitet von der beherzt aufspielenden Band, entfalten „Hold Me Like You Used To“ und das satt groovende „Ain’t Really Good For Me“ eine beachtliche, mitreißende Dynamik. Bei „Girls Like Us“ singen sogar die Sanitäterinnen mit, die weiter hinten den einen oder anderen wackeligen Kreislauf versorgen. Das ist stark, denn kaschieren lässt sich live wenig. Timing, Zusammenspiel, Intonation und Interaktion, das sitzt im Rampenlicht der Bühne, wo kein Fehler unbemerkt bleibt. Erst hier zeigt sich das wahre Potenzial einer Künstlerin.
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Zoe Wees wirkt in den Songs jedenfalls, als wäre das schon ihre zehnte Tour. Nur bei den Ansagen merkt man noch die eine oder andere Schüchternheit und Unsicherheit, die aus ihrer von Krankheiten begleiteten Kindheit rühren und auch ihre Lieder inspirieren. Ihr Akustikset mit „When It Hurts“, „Love Me Now“ und „I’ll Be Waiting“ kündigt sie so an: „Bitte nicht einschlafen“. Aber im Gruenspan schläft niemand, und mit „That’s How It Goes“ und dem rockigen „Third Weel“ wird viel Wucht entwickelt, die auch auf größeren Bühnen gut Zuhause wäre.
Im Sommer geht es zu den großen Festivals
„Dieser Song hat mein Leben verändert“, erzählt Wees vor „Control“, „ich lebe meinen Traum“. Es macht Spaß, ihr beim erleben des Wahrwerdens ihres Traumes zuzusehen. Neben der Zugabe „Lonely“ stellt sie auch einen noch titellosen neuen Song vor, gewidmet den Menschen in der Ukraine: „The road ist upside down, I don’t know how to fix it“, singt sie im Schein Hunderter Handy-LEDs. Die Welt steht Kopf, und die Straßen führen ins Nichts in diesem Lied.
Wer weiß, wohin die Straßen Zoe Wees noch führen werden. Die Ambitionen von ihr und ihrem Team gehen jedenfalls deutlich über Konzerte in Batschkapp und Gruenspan hinaus. Der Sommer wartet mit den Festivalbühnen der Republik bis hin zum gigantischen Lollapalooza im September im Olympiastadion Berlin. Auf den Plakaten steht sie noch in der Abteilung „and many more“. Aber die beiden Abende im Gruenspan waren vielleicht ihre letzten Clubshows in Hamburg. Und auch die ersten.