Hamburg. Die Klarinette quiekt, das Blech knattert: Der Abend für Iannis Xenakis im Großen Saal hätte mehr Besucher verdient gehabt.

Selten funktioniert ein Ein-Wort-Motto so gut, um die Wirkung eines Konzerts zu umschreiben: „Energeia“ hat das Ensemble unitedberlin seinen Auftritt in der Reihe „NDR das neue werk“ überschrieben, und genau das ist es, was die wenigen Hörer im Kleinen Saal der Elbphilharmonie vom ersten Takt an packt: rohe, unausweichliche, mitreißende Energie.

Elbphilharmonie: Posthumes Ständchen für Iannis Xenakis

Immer wieder langen die Streicher mit dem Bogen so rabiat in die Saiten, dass man um die Instrumente fürchten könnte. Kurze, heftige Glissandi verleihen jedem Ton etwas Kreatürliches. Tonhöhen schwanken und mäandern umeinander. Die Klarinette quiekt, das Blech knattert, die Welt ist in Aufruhr. Genauer: die Welt, wie Iannis Xenakis sie in „Phlegra“ für elf Instrumente vorstellt.

Entstanden 1975, wirkt das Werk frisch wie ehedem. Mit ihrer „Hommage à Xenakis“ bringen die Musiker unter der Leitung von Roland Hayrabedian dem griechischen Komponisten ein postumes Ständchen (er starb 2001) zum 100. Geburtstag.

Musik erinnert an diffuses Morgenlicht im Gebirge

Schon „Dhipli Zyia“ aus dem Jahre 1952 für Geige und Cello klingt kühn, bewegt, tänzerisch, nach Dorffesten auf dem Balkan. Emmanuelle Bernard und Lea Rahel Bader machen feinste Kammermusik abseits jeder Hausmusikkuscheligkeit. Um dann zu enden, als wollten sie dem Hörer eine lange Nase drehen: mit einem pianissimo-Aufgang wie diffuses Morgenlicht im Gebirge.

Zeitsprung. Für „Rebonds B“ von 1988 legt der Schlagwerker Guilleaume Vairet einen archaischen Tanz hin. Die Kraft und präzise Lockerheit, mit der er Klanghölzer, Bongos, Tomtom, Basstrommel schier aufeinanderprallen lässt, ergeben ihre eigene Choreografie. Der Komponist selbst verglich den von ihm angestrebten Effekt mit dem eines Blicks in den Abgrund. Entkommen unmöglich.

Elbphilharmonie: Musiker lassen sich nicht aus der Ruhe bringen

Dagegen wirkt „Waarg“ für 13 Instrumente geradezu orchestral. Nach den gestochen scharfen Höreindrücken der kleiner besetzten Werke wehrt sich das Ohr beinahe gegen etwas, das ihm im Vergleich als Tuttiklang erscheint, es aber natürlich nicht ist. Immer noch sind da 13 Solisten am Werk und machen wie aus einem Atem heraus miteinander Musik, ohne sich von den haarsträubend verzwickten Rhythmen aus der Ruhe bringen zu lassen.

Faszinierend auch die Begegnung mit Xenakis‘ Kollegen: Von seinem Schüler Pascal Dusapin erklingt das vielfarbige „Cascando“ für acht Instrumente. Und am Schluss des Abends verbreiten Maurice Ohanas „Sundown Dances“ von 1990, Avantgarde hin oder her, einen Hauch amerikanischer Landschaftsmelancholie.