Hamburg. Amina Gusner inszeniert „Stella“ mit Anna Schäfer in der Titelrolle – entstaubt, kompakt und auch mal komisch.

Es ist gut drei Jahre her, Sewan Latchinian war noch gar nicht als Künstlerischer Leiter der Hamburger Kammerspiele im Amt, da überlegte der Theatermacher in seinem ersten großen Interview mit dem Abendblatt öffentlich, ob er nicht mal wieder einen Kammerspiel-Klassiker wie Goethes „Stella“ auf den Spielplan der Traditionsbühne nehmen sollte. Das Stück, das 1776 in Hamburg seine Erstaufführung erlebt hatte, sollte ursprünglich schon im Januar 2021 Premiere feiern, muste dann Lockdown-bedingt gleich zweimal verschoben werden.

Aber lässt sich der Liebe ein Riegel vorschieben? Als „Schauspiel für Liebende in fünf Akten“ hatte Johann Wolfgang von Goethe sein Werk dereinst verfasst: Mal mehr, mal weniger frei nach Goethe hat „Stella“ in einer Bearbeitung der Regisseurin Amina Gusner nun doch noch das Licht der Hamburger Öffentlichkeit erblickt. Und das ist auch so gut.

Denn an den Kammerspielen ist ein Klassiker entstaubt worden, ohne dass ihn die Verantwortliche total verfremdet hätte. Vielmehr verhandelt Gusner hier in kompakten und überwiegend kurzweiligen eineinhalb Stunden aktuelle Liebes- und Beziehungsmodelle, die Geschlechterrollen dabei durchaus kritisch reflektierend.

Ein entstaubter Klassiker: „Stella“ an den Kammerspielen

„Die Liiiebe,, die Liieebe“, stöhnt Lucie (Marie Schulte-Werning) zu Beginn, „sie ist wie eine Droge, sie macht süchtig.“ In der Aussage des Teenagers im pinkfarbenen Kleid, mit seinen Kopfhörern stets auf Abschottung bedacht, klingt mehr Unverständnis, ja Verachtung denn Begeisterung durch. Schließlich ist Lucies Mutter Cäcilie (Isabell Fischer) früh von ihrem Ehemann verlassen worden. Eine Alleinerziehende, die in prekären Verhältnissen sehen muss, wo sie bleibt. Mutter, Vater, Kind – das war einmal.

Bei der Baronesse Stella (Anna Schäfer) findet Cäcilie Arbeit für ihre Tochter als Hausangestellte. Dumm nur, dass diese Stella die Ex-Geliebte ihres Noch-Gatten Fernando ist. Für die schöne Blonde hat er die Familie verlassen, um danach erneut weiterzuziehen. Bis das alles herauskommt, will im Theater erst mal ordentlich gelitten und gestritten, wiewohl an manchen Stellen auch gelacht werden. Das grenzt manchmal an Überzeichnung der Figuren, tut der Geschichte indes keinen Abbruch, entkrampft sie sogar.

Anna Schäfer zwischen Würde, Laszivität und Verzweiflung

So stellt Regisseurin Gusner etwa die antiquiert wirkende Sprache Goethes auf den Prüfstand und arbeitet Romantisches, Tragisches und Gesellschaftliches anhand von Rollenbildern und Beziehungen heraus. In den von Amina Gusners jüngerer Schwester Inken entworfenen Kulissen und Kostümen treffen Cäcilie und Stella nicht ohne Grund in roten Kleidern aufeinander: Beide träumen immer noch von der großen Liebe, von ein- und demselben Mann und sind doch beide von ihm enttäuscht worden.

Isabell Fischer als Cäcilie spielt etwas kontrollierter, drückt das Verlangen, die Sehnsucht nach Rückkehr des Gatten bewusst zurückhaltend aus. Anna Schäfer, bekannt aus Serien wie „Knallerfrauen“ (Sat.1) und „Bonusfamilie“ (ARD), changiert in der Titelrolle zwischen weiblicher Würde, der Laszivität einer Femme fatale und purer Verzweiflung. „Ich darf nicht allein sein“, hadert ihre Stella. Sie sehnt sich nach Vergangenem, nach ihrem Geliebten, wälzt sich voller Verzweiflung über den Boden. Körperarbeit.

Schwierige Dreiecksgeschichte in den Kammerspielen

Die liefert auch Mario Ramos als Fernando. Als solcher kehrt er voller Sehnsucht und Libido zu Stella zurück. Von der Ex-Geliebten bewundert („Ein Bild von einem Mann!“) darf er stolz wie ein Edelmann auf komische Art mit weißem Hemd und weißer Gitarre spanisch singend in einer umrahmten Aussparung der Wand posieren, um anschließend in deren häuslichen Umfeld seine eigene Tochter nicht zu (er-)kennen. Erst Pirouetten drehend, dann vollends verirrt und verwirrt, gibt Ramos seinen Fernando als rast- und ruhelosen Duracell-Hasen, gespeist voller Verzweiflung. Er weiß nicht mehr, wohin er gehört.: „Ich bin ein Lump, ich bin ein Lump!", beschimpft er sich selbst.

„Mutter, Vater, Kind“ – Foto! So schnell wie beim Posieren auf der Bühne ist das Familienbild nicht wieder intakt zu bekommen.

Gut, dass es in dieser schwierigen Dreiecksgeschichte noch eine Frau gibt, die zur Erdung beiträgt: Barbara Krabbe – so etwas wie der personifizierte Running Gag des Stücks – bringt als Wirtin stets die Wahrheiten zwischen den Geschlechtern auf den Punkt. Auch wenn sie am Ende nicht mehr hereinplatzt, um einen Kaffee anzubieten – sie braucht selbst einen. Lacher sind ihr Trinkgeld.

Goethe sorgte mit „Stella“ in Hamburg einst für Empörung

Bei der Uraufführung von „Stella“ hatte Goethes Finale einst für Empörung gesorgt – dem Dichter schwebte eine Ehe zu dritt vor. 20 Jahre später schrieb Goethe eine neue Fassung ohne Happy End, und das Drama geriert endgültig zur Tragödie, es wurde beim Publikum zu einem Flop.

Amina Gusner zeigt geschickterweise jetzt beide Schlüsse. Bedauerlich nur, dass vom komplett weiblichen Regieteam auf der Bühne keine bei der Premiere den begeisterten Schlussapplaus entgegennehmen konnte. Aus terminliche Gründen fehlten sowohl die Schwestern Gusner als auch Kammerspiele-Chefdramaturgin Anja Del Caro. Ebenso Sewan Latchinian. Der künstlerische Leiter kann sich in seiner Entscheidung, das Stück auf den Spielplan zu nehmen und Amina Gusner die Regie angetragen zu haben, immerhin bestätigt fühlen.

„Stella“ wieder Do 27./Fr 28.1., jew. 19.30, bis 27.2., Kammerspiele (U Hallerstraße), Hartungstr. 9-11, Karten zu 18,- (erm. 10,-) bis 43,- unter T. 413 34 40; www.hamburger-kammerspiele.de