Hamburg/Berlin. Der Schriftsteller macht den Fußballstar zur Romanfigur – leider langweilig, findet Literaturhaus-Chef Rainer Moritz.

Wer es als Sportler oder Schauspieler zu Ruhm gebracht hat, widersteht nach Karriereende selten der Versuchung, seine Autobiografie – mit Hilfe eines Ghostwriters – zu Papier zu bringen oder zumindest eine von eher unbekannten Journalisten verfasste Biografie zu autorisieren. So blüht das Genre der Fußballermemoiren seit Jahrzehnten. Franz Beckenbauer hat gefühlt dutzendmal seine Erinnerungen veröffentlicht, und auch Uwe Seeler ließ es sich nicht nehmen, in Buchform mehrfach vom Wembley-Tor und seiner Treue zum HSV zu erzählen.

Die manchmal etwas prosaischen Sportlerleben erhalten freilich eine besondere Nobilitierung, wenn sie von Protagonisten des Kulturlebens beschrieben und somit auf höhere Sphären gehoben werden. So durfte sich Günter Netzer vor vielen Jahren daran erfreuen, dass ihm der Literaturkritiker Helmut Böttiger eine Biografie widmete. Zlatan Ibrahimović heuerte den schwedischen Autor David Lagercrantz an, um ihm sein Leben zu erzählen, und der Schriftsteller Thomas Pletzinger landete einen großen Erfolg, als er in „The Great Nowitzki“ den deutschen Basketballstar klug porträtierte.

Buchkritik: Schweinsteiger traf Martin Suter

Ähnliches hatte Bastian Schweinsteiger wohl im Sinn, als er dem Rat eines Freundes folgte und über den Diogenes Verlag anfragen ließ, ob der an vielem interessierte Bestsellerautor Martin Suter geneigt wäre, aus seinem Leben ein Buch zu machen. Man traf sich am Zürcher Flughafen, empfand Sympathie füreinander und wurde rasch handelseinig. Suter schreibt über Fußballgott Schweinsteiger – das versprach hohes Aufsehen und weckte schon im Vorfeld Neugier darauf, was der Romancier mit diesem Leben würde anfangen können.

Eineinhalb Wochen vor Erscheinen des Buches räumte „Die Zeit“ eine ganze Seite für ein Interview mit den Protagonisten frei, und der Verlag lud zu einer vom alten TV-Fahrensmann Marcel Reif moderierten Pressekonferenz ein, bei der auch Schweinsteigers Ehefrau, die ehemalige Tennisspitzenspielerin Ana Ivanović, ein paar Sätze sagen durfte.

Schweinsteiger mit „Sommermärchen“ verbunden

Ein veritabler Coup, gewiss, und ja, wie gern hätte man einen Roman über diese spektakuläre Karriere gelesen. Denn zweifelsohne zählt der unbekümmerte, so „authentisch“ wirkende Schweinsteiger zu den Ikonen der jüngeren Fußballgeschichte, der maßgeblich daran beteiligt war, dass nicht nur Bayern München viele Triumphe feiern konnte, sondern auch der Nationalelf nach den tristen Jahren mit Vogts, Völler und Ribbeck auf der Trainerbank endlich neues Leben eingehaucht wurde.

Martin Suter: „Einer von Euch“, Diogenes Verlag, 384 S., 22 Euro.
Martin Suter: „Einer von Euch“, Diogenes Verlag, 384 S., 22 Euro. © Diogenes Verlag

Basti – wie ihn alle nennen, nachdem er nicht mehr Schweini genannt werden wollte – ist untrennbar mit dem „Sommermärchen“ von 2006 verbunden, und spätestens seit dem WM-Finale 2014, als er, blutend nach rüden Attacken seiner argentinischen Gegenspieler, Überlebenswillen bis zur letzten Minute ausstrahlte, stieg er für immer und ewig in die Galerie der mythisch verehrten Sporthelden auf.

Buch über Schweinsteiger eine Enttäuschung

Was Martin Suter daraus macht, ist – seien wir offen – eine grausame Enttäuschung, ein literarisches Debakel. Das hat damit zu tun, dass der bald vierzigjährige Fußballer, der sich Suter „offenbart“ habe, von sich behauptet, „keine dunklen Seiten“ und privat „immer ins Schwarze getroffen“ zu haben. Hans-im-Glück-Geschichten solcher Art versprechen, selbst wenn sie von Knieverletzungen, Fehlschüssen oder unangenehmen Trainern (wie Felix Magath oder José Mourinho) begleitet werden, selten eine packende Lektüre.

Dass zudem in der Liebe alles glatt läuft, macht die Sache nicht besser, vor allem wenn dann der Kitsch („Er hatte gewusst, dass sie schön war. Aber nicht so absolut wunderschön“) über die Seiten zu tropfen beginnt.

Fußball ist für Martin Suter fremd

Warum „Einer von euch“ ein so langweiliges Buch ist, liegt indes vor allem an seinem Autor Martin Suter, der sich viel darauf zugutehält, als Schriftsteller über die Fähigkeit zu verfügen, sich ihm fremde Welten anzueignen. Leider gilt das nicht für den Fußball, denn dieses Terrain hat sich Suter selbst nach stundenlangen YouTube-Sessions nicht erschlossen.

Selten wurden die großartigsten Spiele – sogar die WM-Siege 2014 über Brasilien und Argentinien – auf derart trost- und lustlose Weise nacherzählt wie in Suters dröger Ergebnisprosa. Überdies tut sich der Autor (und sein ebenso ballfernes Lektorat) schwer damit, die Eigenheiten der Fußballsprache zu erfassen. An Patzern herrscht da kein Mangel: Da werden Abstöße und Abschläge, Flanken und Pässe verwechselt, da lesen wir von „traumhaften Torchancen“, „Linksknallern“, von „Preisverleihungen“ nach einem WM-Finale, da werden in den 1980er-Jahren in der F-Jugend gelbe Karten verteilt, und bei Bastis verschossenem Elfmeter im Champions-League-Finale gegen Chelsea vertut sich Suter gewaltig in der Dramaturgie.

Buchkritik: Im Schweinsteiger-Buch regiert die Ödnis

Kein Wunder, dass in diesem Buch auch sonst die Ödnis regiert. Wenn mit einem Schuss ein Tor geschossen und mit einer Trage ein Spieler hinausgetragen wird, fehlt stilistische Minimalsorgfalt. Wen mag es da überraschen, dass – als Ärger mit der Boulevardpresse droht – die Wolken prompt tief über München hängen? Nein, Martin Suter spielt sicher nicht, wie Marcel Reif glaubt, in der gleichen Liga wie seine Landsleute Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt, doch für seinen Schweinsteiger-Roman hätte man sich gewünscht, dass er seine Trickkiste zumindest ab und zu ausgepackt hätte.

Und übrigens: 2018 erschien im sportaffinen Göttinger Verlag Die Werkstatt eine nicht autorisierte Biografie Schweinsteigers, verfasst von dem Münchner Journalisten Ludwig Krammer. Ein lesenswertes, ein lebendig erzähltes Buch – und vor allem eines, das von Nähe zum Fußball zeugt.

Unser Gastautor Rainer Moritz amtierte in jungen Jahren als Fußballschiedsrichter. Heute leitet er das Literaturhaus Hamburg und publiziert regelmäßig zum Thema, zuletzt „Als der Ball noch rund war“ (2018). Zudem ist er Mitglied des TSV 1860 München, was keinen Einfluss auf die Abfassung dieses Textes hatte.