Hamburg. Jasper Brandis’ Romanfassung „De ole Mann un de See“ im Ohnsorg-Studio ist eine tolle Symbiose aus Sprache, Schauspiel und Musik.

Die Letzten werden die Ersten sein. Dieses Sprichwort galt in gewisser Weise auch für Ernest Hemingway und seine Novelle „Der alte Mann und das Meer“. Das letzte, zu Lebzeiten des bedeutenden US-Schriftstellers erschienen Werk trug maßgeblich dazu bei, dass er 1953 den Pulitzer-Preis und 1954 den Literaturnobelpreis erhielt. Drei Jahre, nachdem er auf Kuba den Kurzroman um einen alten Fischer und dessen Kampf mit einem riesigen Speerfisch geschrieben hatte.

Nicht mal knapp drei Monate Zeit hatte das renommierte Übersetzerduo Hartmut Cyriacks und Peter Nissen, um für das Ohnsorg-Studio eine plattdeutsche Fassung des Hemingway-Stoffes zu schreiben. Ursprünglich hätte im Ableger des Ohnsorg-Theaters mit Stücken für Jung und Alt am Sonntagabend eine Neuinszenierung von Alessandro Bariccos musikalischem Monolog „Novecento. Die Legende vom Ozeanpianisten“ Premiere haben sollen.

Theaterkritik: Ein Stück von Jasper Brandis und Anke Kell

Nun ist es anders gekommen, und das ist gut, wahrscheinlich sogar besser. Und überraschend viel Musik steckt in „De ole Mann un de See“ auch. Entstanden ist in der Bühnenfassung von Regisseur Jasper Brandis und Dramaturgin Anke Kell ein Stück, das sich gewaschen hat.

Singen muss Holger Dexne indes nicht. Der Protagonist führt vielmehr als Erzähler in das Drama ein, spielt auch den jungen Gehilfen des alten Fischers Santiago, der ganz auf sich allein gestellt ist, nachdem sich der Junge auf Geheiß der Eltern bei erfolgreicheren Fischern verdingen muss. Santiago klebt das Pech an den Netzen, 84 Tage lang hat er nichts mehr gefangen. Am 85. fährt er mit seinem Boot weiter hinaus denn je.

Dexne spielt in niederdeutscher Sprache

Mit brüchiger Stimme, jedoch mit enormer körperlicher Präsenz gibt Dexne den alten Mann mitten im Meer. In T-Shirt, schmutziger Leinenhose und Badelatschen steht er vor, in und neben seinem abgetakelten Kahn, sinniert übers Leben, flucht und verzweifelt fast am Fisch, der größer ist als sein Boot. Wenn Dexne am Seil mit dem Speerfisch kämpft, herrscht nicht nur dabei eine Spannung zum Zerreißen.

Der Existenzkampf des Menschen, ebenso seine Begrenztheit und die Kraft, ja die Allmacht der Natur, all das ist hautnah zu erleben. Und das Wagnis, zugleich die Herausforderung vom Regieteam, Dexne ausschließlich in niederdeutscher Sprache spielen zu lassen und das Stück nicht wie sonst im Ohnsorg-Studio üblich als Mischform aus Platt- und Hochdeutsch zu präsentieren, zahlt sich aus. Dank der wunderbar bildhaften Sprache des Übersetzer-Duos sitzt das Publikum buchstäblich mit im Boot, wenn der alte Santiago mit dem „Kaventsmann von Fisch“ kämpft und ruft „Wat för nen Knöf de hett!“

Robinson-Crusoe-Kulisse im Ohnsorg-Studio

Regisseur Brandis hat wie vor einigen Jahren bei der gelungenen schwarzen Krimikomödie „Harold un Maude“ fürs Ohnsorg-Studio mit Andreas Freichels einen Bühnen- und Kostümbildner gewonnen, der erneut äußerst Fantasievolles gestaltet hat, diesmal eine Robinson-Crusoe-Kulisse. In der bringt Santiago alias Dexne Tage und die Nächte zu. Statt sich bloß der ihn und seinem großen Fang attackierenden Haie zu erwehren kann er hier auch mal von den prächtigen Löwen in der freien Wildbahn träumen - ein Bezug zu Hemingways Leben.

Brandis’ Coup ist jedoch die Verpflichtung von Mario Ramos. Der musizierende Schauspieler gibt neben dem Boot sitzend mit hellem Hut und Sakko nicht nur äußerlich perfekt einen kubanischen Land(s)mann. Mit seiner eigens komponierten Musik auf Akustik- und E-Gitarre und Liedern wie „Guajira cubana“ sorgt er dafür, dass alle wieder sicher im Hafen Havannas landen.

Große Weltliteratur auf kleiner Bühne in Hamburg

Es entsteht eine Symbiose aus Schauspiel und Musik - „De ole Mann un de See“ spielt schließlich nicht in der Nordsee. Gelegenheit für Santiago, sich - diesen Gag gönnt sich die Regie – mit einem Fischbrötchen zu stärken, gibt es dennoch. Der Würde der Figur tut das keinen Abbruch.

So geht große Weltliteratur auf kleiner Bühne in einer eigenen Sprache. Eine preisverdächtige Inszenierung eines zeitlosen Stücks.

„De ole Mann un de See“ wieder Do 2..12. u. Sa 4.12., jew. 19.00, bis 20.1. 2022, Ohnsorg-Studio (U/S Hbf.), Heidi-Kabel-Platz 1, Karten ab 24,64 unter T. 35 08 03 21; www.ohnsorg.de