Hamburg. Ein Fingerzeig auf die Nazi-Barbarei. Gastdirigent Carlos Miguel Prieto schien aber mit der Tonsprache zu fremdeln.
Ein 75-köpfiger Chor, die vereinten Vokal-Fachkräfte von NDR und MDR, breit aufgestellt als anklagende, mahnende Klangtapete hinter dem an diesem Abend auch nicht gerade kleinen NDR Elbphilharmonie Orchester und einem halben Dutzend Solisten, zwei davon mit kurzen Sprechrollen. Der Auftakt des dreiteiligen Hanns-Eisler-Schwerpünktchens im Großen Saal der Elbphilharmonie wartete am Freitag mit einer Kollektiv-Optik auf, als hätten wir wieder Anfang 2020. Musikalisch aber war Eislers „Deutsche Sinfonie“ ein musikdramatischer Fingerzeig auf das finsterste Kapitel der nationalen Geschichte in der Mitte des letzten Jahrhunderts.
Ein sperriges, trotziges, pathosgeladenes, nach Optimismus und Aufrichtigkeit rufendes Stück füllte und erfüllte den Saal, das trotz seines Namens keine Sinfonie ist, sondern ein Manifest: dass, was einmal war in den zwölf Jahren der Nazi-Barbarei und der Mitläufer-Schuld, sich niemals wiederholen dürfe. Es aber womöglich in anderer Form zurückkehren könnte, wenn nicht ständig wehrhaft auf die Demokratie acht gegeben wird.
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Eislers Sinfonie: Toll war der Chor als Gewissensbringer-Instanz
Die Musik des Schönberg-Schülers, 1959 in Ost-Berlin uraufgeführt, feuert seine politischen und humanistischen Botschaften elf Abschnitte lang aus allen Rohren, gesungen wie rezitiert, die meisten Texte stammen von Eislers Weltsicht-Genossen Bert Brecht. Vor 22 Jahren hatte der damalige Generalmusikdirektor Ingo Metzmacher diese sehr bewusste Zumutung auf ein Hamburger Philharmoniker-Programm gesetzt, sinnig mit Beethoven und Wagner in eine wechselvolle Ahnenreihe kombiniert, nun sollte das Stück für sich stehen.
Was es auch tat. Allerdings vor allem von der eigenen Wirkungskraft getragen, weil NDR-Gastdirigent Carlos Miguel Pietro mit dieser so eigenwilligen, vielleicht auch so typisch kriegsschreckenverwundeten Tonsprache zu fremdeln schien. Wo Eisler schartige, kompromisslose Empörung und Trauer forderte, sorgte Prieto oft nur für den Eindruck, man würde einen gediegen entkoffeinierten Schostakowitsch hören. Das rein instrumentale Orchester-Allegro versendete sich dabei. Toll ohne derartige Wenns und Abers war dagegen der Chor, der seiner Funktion als Gewissensbesinger-Instanz mit großer Präzision und Eindringlichkeit nachkam. In der Reihe der Solistinnen und Solisten sorgten vor allem Matthias Goerne, die stimmstarke Mezzosopranistin Okka von der Damerau und Bass Cody Quattlebaum für Angemessenes.
Weitere Eisler/Goerne-Konzerte: Heute, 20 Uhr: Kammermusik und Lieder. Ensemble Resonanz, Tamara Stefanovich (Klavier). Kl. Saal. 28.11., 11 Uhr: „Hollywooder Liederbuch“ (Ausschnitte), Lieder von Schubert und Schumann. Markus Hinterhäuser (Klavier). Gr. Saal. Aufnahme: „Im Abendrot”. Lieder von Wagner, Pfitzner, Strauss. Seong-Jin Cho (Klavier) (DG, CD ca. 15 Euro)