Schmerzhaft und kraftvoll: Eva Menasses Roman „Dunkelblum“ erzählt von einem Grenzdorf in Österreich mit düsterer Geschichte.
„Dunkelblum“, der neue Roman von Eva Menasse ist derzeit eines der meistdiskutierten Bücher, und in der Tat bietet ihre Beschreibung eines fiktiven österreichischen Grenzdorfes Ende der 1980er-Jahre eine interessante Lektüreerfahrung.
Auf den ersten Blick liest sich „Dunkelblum“ wie eine akkurate literarische Darstellung des ländlichen Lebens. Zu dieser Umgebung gehören beispielsweise der junge Lowetz, der wegen des Todes seiner Mutter nach Jahren der Abwesenheit wieder in seinen Geburtsort zurückkehrt. Oder Leonore, die kultivierte Frau, die sich im ländlichen Raum häufig deplatziert und einsam fühlt. Doch noch während diese Figuren eingeführt werden, offenbart sich, dass hier über vieles Vergangene geschwiegen wird. Dies ändert sich, als ein Fremder ins Dorf kommt, um historische Nachforschungen anzustellen und kurz darauf eine schon länger vergrabene Leiche zu Tage gefördert wird.
„Dunkelblum“: Wenn die Vergangenheit verdrängt wird
Die Österreicherin Menasse beschreibt eine Gemeinschaft, in der jegliche kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit boykottiert wird. Ein Dorf, das sich als Erstes in dieser Gegend in den 1930er-Jahren als „judenfrei“ erklärte und in dem noch Jahrzehnte später vom „heroischen Kampf“ gegen die sowjetische Armee in den letzten Kriegstagen erzählt wird. Die östliche Grenze betrachtet man weiterhin misstrauisch, doch über die Verbrechen, die man selbst begangen hat, wird kein Wort verloren.
Es ist eine clevere Entscheidung der Autorin, die Handlung im Jahr 1989 anzusiedeln. Immerhin begann in den 1980er-Jahren der Opfermythos zu bröckeln, der darin bestand, dass sich Österreich als erster von den Nazis besetzter Staat verstand. Von einem neuen Blick auf die NS-Zeit, wie sie sich teilweise in Österreich entwickelte, scheinen die meisten Protagonisten in „Dunkelblum“ jedoch wenig zu halten.
Eva Menasse macht Vergangenes greif- und verstehbar
Letztlich ist dies ein Roman, der zeigt, wie eine Gemeinschaft mit einer historischen Schuld umgeht. Menasses neustes Werk steckt voller schmerzhafter Erinnerungen und entfaltet dabei eine enorme erzählerische Kraft. Ein wichtiger Bezugspunkt für ihr Schreiben scheint Stefan Zweig zu sein, der berühmt dafür war, historische Situationen und Persönlichkeiten psychologisch zu durchleuchten. Er wird in „Dunkelblum“ gleich zweimal erwähnt.
Und auch Eva Menasse lässt in ihrem Roman die Vergangenheit greif- und verstehbar werden. Ein wesentlicher Unterschied zu Zweigs historischen Biografien besteht allerdings darin, dass Menasse hier kein reales Ereignis schildert – auch wenn beim Lesen Erinnerungen an das Massaker von Rechnitz, dem im März 1945 etwa 200 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter zum Opfer fielen, geweckt werden.
Indem „Dunkelblum“ von einer fiktiven Ortschaft erzählt, steht das Geschilderte stellvertretend für viele andere Gegenden, in denen die nationalsozialistische Vergangenheit lange verschüttet blieb.