Hamburg. „Weddersehn maakt Freid …?“ Die plattdeutsche Erstaufführung der Komödie in Harald Weilers Regie kommt erst nach der Pause in Fahrt.
Luxus im Ohnsorg-Theater? Ja, den kann es durchaus geben. Entweder liegt das am Bühnenbild und/oder daran, dass im Großen Saal, in dem die Luft dank moderner Anlage achtmal pro Stunde ausgetauscht wird, keine Maskenpflicht herrscht. Und bei 70 Prozent Platzauslastung können kaum Gefühle der Enge aufkommen. So geschehen bei der als 2G-Vorstellung nur für Geimpfte und Genesene durchgeführten plattdeutschen Erstaufführung von „Weddersehn maakt Freid …?“
Noch mehr Luxus genießen Anton und Mona. In ihrem Designer-Haus ist reichlich Platz für edle Sofas und teure (Selbst-)Bilder. Während der neureiche Anton sehnlichst die nächste Lieferung teuren französischen Rotweins erwartet und seine Haushaltshilfe Dragana finanziell kleinzuhalten versucht, kommt Freundin Mona im eleganten schwarzen Hosenanzug mit sechs großen Tüten zurück vom Shoppen aus New York. „In Hamborg finn ik eenfach nix mehr, wat mi steiht“, stöhnt die Luxusbraut. Der Neue Wall ist bei ihr oldstyle.
„Weddersehn maakt Freid …?“: Neues Stück im Ohnsorg-Theater
Das Paar könnte in Saus und Braus weiterleben, würde Anton nicht die Nachricht erreichen, dass seine Jugendliebe Kiki im Anflug ist und ihn um Scheidung bittet. In Las Vegas, da war mal was. Anton ist sich zunächst nicht bewusst, dass die Spontanhochzeit mit jener Kiki vor 25 Jahren hierzulande rechtsgültig ist. Weil kein Ehevertrag existiert, droht Anton nun, die Hälfte seines Vermögens zu verlieren. Da gilt es, sich arm zu rechnen - und zu machen.
Und so kommt Bewegung in die Sache mitsamt der Kulisse. Dank der Drehbühne im Ohnsorg finden sich die Beteiligten plötzlich in der Souterrain-Wohnung der Haushaltshilfe wieder. Oder sollte man besser sagen, in einem Kellerloch? Beate Zoff (Bühne und Kostüme) hat hier doppelt bis dreifach preisverdächtige Arbeit geleistet und in dieserart Absteige alles Mögliche und Unmögliche hineingepackt. Sogar ein wenig Klipp-Klapp-Komödie lässt sich hier mit zwei Türen und einer Schrankwand spielen.
Caroline Kiesewetter und Sebastian Herrmann wieder auf der Ohnsorg-Bühne
Anton, von Sebastian Herrmann mit (echtem) Schnauzer als ein moderner urbaner Baron von Münchhausen verkörpert, gibt in weißer Ballonseide plötzlich den mittellosen Proleten, gewinnt so mehr und mehr an komischer Statur. Caroline Kiesewetter, mit Herrmann schon im Juni in „Laat uns Frünnen blieven“ zu zweit auf der Ohnsorg-Bühne, macht als Mona in prollig-schrillem Outfit das falsche Spiel widerwillig, aber schauspielerisch gekonnt mit: Den Abstieg von der Dame aus dem Geschlecht der Hohenzollern zu einer auch optisch prolligen „schwangeren“ Blondinen, welche als etwas schlankere Schwester der Cindy aus Marzahn durchgehen könnte.
„Eine Wampe?“, das fragt Kiki sie bei ihrem Eintreffen denn auch. Sie ist als Entwicklungshelferin in Afrika ganz andere Krisen gewohnt, meist tiefenentspannt („Namaste!") und lässt auf der Ukulele alte Zeiten mit Anton anklingen. Birte Kretschmer kann mit Dreadlocks und in bunter Kleidung ihre Figur lässig ausspielen, überzeichnet ist diese wie die der beiden anderen Protagonisten ebenfalls.
Rappender Advokat verbreitet Ghetto-(Blaster-)Atmosphäre
In deren Abstieg, besser gesagt Ausflug aus der reichen Welt hinab in die prekäre, liegt der Reiz von „Weddersehn maakt Freid ….?“. Erst dadurch entsteht der Raum für Verwechslungen und Situationskomik. Wenn Anton alias Herrmann vor Kikis Augen als armer Schlucker mangels anderer Speisen eine Dose Katzenfutter löffelt oder ihr mangels Seife Spüli für die kalte Dusche reicht, bleibt kaum ein Auge trocken. Und wenn die feine Dame Mona alias Kiesewetter profane Spaghetti kochen muss, im Kellerloch umherkriecht und am Bettzeug nach Spuren von Antons Jugendliebe schnüffelt, zündet die Komödie erst so richtig.
Zudem agieren mit Markus Gillich und Tanja Bahmani zwei versierte Komödianten in Nebenrollen. Gillich als Antons devoter Anwalt Rothermund – er spricht als einziger hochdeutsch – gibt beim Besuch im Souterrain plötzlich den rappenden Advokaten und verbreitet Ghetto-(Blaster-)Atmosphäre. Und Tanja Bahmani sorgt als osteuropäische Haushälterin, die in ihre Kellerwohnung zurückwill dafür, dass ihr Aufstieg in aller Bescheidenheit doch noch gelingt.
„Weddersehn maakt Freid …?“ zündet spät
Im finalen Bühnenbild ist sie plötzlich die Chefin im (Designer-)Haus - ihr blauer Blümchenkittel wird sogar zu einer Art Uniform. Geld ist eben nicht alles. Der lang anhaltende Beifall des Premierenpublikums und der Blick in die überwiegend maskenlosen Gesichter waren für das Ensemble und das kleine Regieteam umso wertvoller.
Regisseur Harald Weiler hätte „Weddersehn maakt Freid ….?“ durchaus noch zupackender inszenieren können. Womöglich liegt die Zurückhaltung daran, dass es der französische Autor Ivan Calbérac zunächst als Roman („Der Sommer mit Pauline“) geschrieben hat, ehe es in seiner Heimat als Film und Theaterstück adaptiert wurde. Vor zwei Jahren hatte „Jugendliebe“ deutschsprachige Erstaufführung, für die plattdeutsche Übersetzung sorgte nun Frank Grupe. Bei derlei Transfer kann schon mal einiges verloren gehen, anders als etwa bei Calbéracs mehrfach ausgezeichnetem Stück „Die Studentin und Monsieur Henri“, das vor einigen Jahren auch in der Komödie Winterhude ein Erfolg war. Jenes Stück spielte in Paris, ebenso die „Jugendliebe“. „Weddersehn maakt Freid ….?“ wurde nach Hamburg verlegt.
Premierenfeier wegen Corona abgesagt
Die Nord-Metropole ist ja auch eine Theaterstadt. Damit das in seinem Haus so bleibt, sagte Ohnsorg-Intendant Michael Lang trotz der 2G-Regel die geplante Premierenfeier im Foyer sicherheitshalber ab, auf das traditionelle Gericht Kartoffelsalat und Würstchen musste verzichtet werden. Stattdessen gab es für Premierengäste auf dem Heidi-Kabel-Platz je nach Bedarf ein Eis – auch das schon eine Tradition während der Corona-(Öffnungs-)Zeiten. Und allemal luxuriöser als Katzenfutter aus der Dose ...
„Weddersehn maakt Freid …? wieder Mi 17.11., 20.00, bis 31.12. , Ohnsorg-Theater (U/S Hbf.), Heidi-Kabel-Platz, Karten ab 28,- (erm. 18,-) unter T. 35 08 03 21; www.ohnsorg.de