Hamburg. „Sophie Rois fährt gegen die Wand im Deutschen Theater“ ist eine genüsslich ausgespielte Sternstunde des Theaters.

Da will man als Stadtmensch einmal in die Bergidylle. Und dann das: Plötzlich findet man nicht mehr zurück. Mitten in der überwältigenden Natur steht eine durchsichtige Wand. Es gibt kein Durchkommen ins Tal zum nächsten Dorf, zu lebensrettender Nahrung und Gesellschaft. Marlen Haushofers Erfolgsroman „Die Wand“ erzählt von einer vollkommen auf sich allein gestellten Frau, die sich in einer Art Dauerlockdown mit sich selbst wiederfindet.

Regisseur Clemens Maria Schönborn präsentierte seine radikal auf Schlaglichter verknappte Bühnenfassung vom Deutschen Theater Berlin jetzt als feine philosophische Fingerübung beim Hamburger Theater Festival. „Sophie Rois fährt gegen die Wand im Deutschen Theater“ erweist sich als eine vom Roman doch sehr entfernte, aber genüsslich ausgespielte Sternstunde des Theaters.

Theater Festival: „Sophie Rois" zu Gast im Schauspielhaus

Die Bühne des Schauspielhauses ist leer bis auf eine Bank und einen Kaffeehaustisch. Sophie Rois zieht an ihrer Zigarette. Die Worte der Autorin sprechend, träumt sie sich langsam in die Hauptfigur, jene namenlose Frau, die sich in besagter Berghütte wiederfindet. Eine Kuh, ein Hund und eine Katze sind ihre einzige Gesellschaft. Nun muss sie sich mit Erdäpfeln, Heuernte und der Jagd befassen. Rois, noch elegant in Rock und High Heels, aber bald schon in Wanderschuhen, nimmt die Herausforderung an, die hier keinerlei psychologischen Realismus der Vorlage mehr offenbart, sondern sich ganz ins Märchenhafte verlegt.

Sie wirkt dabei keine Sekunde eingeschüchtert – nur in den Nächten, da träumt sie schlecht. Indem sie ihre Lage radikal akzeptiert, findet sie zu innerer Freiheit. „Ich kann mir erlauben, die Wahrheit zu schreiben; alle, denen zuliebe ich mein Leben lang gelogen habe, sind tot!“, ruft sie aus. Nie klingen die durchaus um Erhabenheit bemühten Sätze Haushofers bei ihr pathetisch. Rois stößt sie mit so viel Stärke, Abgeklärtheit und Distanznahme aus, dass man begreift, weshalb der bereits 1963 verfasste Roman in ökofeministischen Kreisen hoch gehandelt wird.

Beschwingte Studie über Einsamkeit

Es ist ein weitgehend karger Abend, von dem überwiegend für den Film arbeitenden Regisseur ganz auf die Darstellerin ausgerichtet. Doch dann senkt sich ein überdimensioniertes Erdbeersahnetortenstück aus dem Schnürboden herab. Er wird zum Schnee bedeckten Gebirge, das Rois nach einem Kostümwechsel erneut in High Heels erklimmt. Zur Hütte, die sie verschlingt. Eine Bühne für ihre sehnsuchtsvollen, traurigen Gesänge in schönstem Wienerisch zur Gitarrenbegleitung von Max Knoth.

Der Abend ist eine kluge, darstellerisch sehr beschwingte Studie über Einsamkeit. Für Rois, selbstgewiss auf der Torte stehend und Schüsse abfeuernd, hat sie jeden Schrecken verloren. Mit Bachs tröstlicher Abschieds-Kantate „Ich habe genug“ ist am Ende eigentlich alles gesagt. Die namenlose Heldin hat zwar noch Wünsche – zum Beispiel den Wunsch nach einer Orange – aber bald wird sie auch diesen nicht mehr verspüren. Sie erlebt einen Frieden mit sich selbst, und das in berückender Klarheit. Davon zu erzählen und dabei im wahrsten Sinne auf die Sahne zu hauen, ist diesem Abend geglückt.

Hamburger Theater Festival bis 18.10., Infos unter www.hamburgertheaterfestival.de