Hamburg. Zum Abschluss des „Reflektor“-Festivals von und mit dem Komponisten gab es zwei sehr unterschiedliche Konzerte. Eine Kritik.
„Niemand darf gefoltert werden. Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ Zwei Sätze aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die Elenor Roosevelt, damalige First Lady der USA, 1948 vor den Vereinten Nationen verlas. Max Richter hat den Text als Grundlage für seine 60-minütige Komposition „Voices“ genommen, mit der am Sonntag eine viertägige Konzertreihe in der Elbphilharmonie mit Werken des britischen Komponisten endet.
Die menschenunwürdigen Verhältnisse im US-Gefangenenlager Guantanamo haben Richter zu „Voices“ inspiriert. Die Partitur besteht aus breiten Klangflächen und Chorgesängen der Sopranistin Grace Davidson und sechs weiteren Sängerinnen. Dazu wird immer wieder Meeresrauschen und Vogelgezwitscher eingespielt. Richter selbst sitzt am Klavier und am Keyboard und ergänzt den Sound mit sparsam gesetzten Akkorden. Für den Breitwand-Sound sind die Streicher des Ensemble Resonanz verantwortlich, doch sie sind mit der simplen Partitur unterfordert.
Als Sprecherin sitzt Birgit Minichmayr, eine der herausragenden deutschen Theaterschauspielerinnen, auf der von blau-weißen Leuchtkreisen illuminierten Bühne und gibt den Textpassagen der Charta die vokale Wucht. Das Publikum ist am Ende des esoterisch anmutenden Konzertes schwer begeistert, ein Beleg für die große Popularität des Komponisten, der sich als selbst „Post-Klassiker“ versteht.
Elbphilharmonie: Max Richter lädt zu zweitem Konzert ein
Ein ganz anderes Kaliber als der elegische Cinemascope-Sound bei „Voices“ ist am frühen Abend der Auftritt des Duos Jason Moran und Christian McBride, die Richter im Rahmen seiner Residenz in den Kleinen Saal der Elbphilharmonie eingeladen hat. Pianist und Bassist verblüffen mit immer neuen Kapriolen beim Umgang mit Stücken aus der langen Jazzgeschichte.
Mit „Blue Monk“ feiern sie den Geburtstag des am 10. Oktober 1917 geborenen Pianisten Thelonious Monk. Der war ein Freigeist, der sich nicht um gängige harmonische und rhythmische Strukturen scherte und so agieren nun auch Moran und McBride wenn sie etwa Stücke von Cedar Walton oder Wes Montgomery spielen.
Es ist ein Hochgenuss zu erleben, wie diese beiden Musiker aufeinander reagieren und welchen Spaß sie miteinander auf der Bühne haben. Beide zählen zu den intellektuellsten Jazzern Amerikas, beide sind für eine Reihe von Projekten verantwortlich, bei denen sie weit über den Tellerrand des Jazz hinausblicken. Moran etwa zeigt bei einem Solo, das an die polyphonen Werke des mexikanischen Komponisten Conlon Nancarrow (1912–1997) erinnert, dass er sich auch mit Neuer Musik bestens auskennt. Doch die afroamerikanische Kultur bleibt die Basis, auf der die beiden Virtuosen agieren.
Elbphilharmonie-Auftritt ist eine Sternstunde
Christian McBride, vom Fachblatt „Downbeat“ gerade zum besten Bassisten gewählt, steuert als Solo eine virtuose Variation des Evergreens „You Are My Sunshine“ bei. Ein weiterer Konzerthöhepunkt ist die ergreifende Interpretation von Wayne Shorters Ballade „Miyako“, bei der McBride einen Bogen benutzt.
In der Vergangenheit haben diese beiden Schwergewichte des zeitgenössischen Jazz nur gelegentlich zusammengearbeitet. Nach einer kurzen Tournee mit dem glänzenden Abschluss in Hamburg wollen sie ihre Zusammenarbeit intensivieren. Eine kluge Entscheidung, denn ihr Elbphilharmonie-Auftritt ist eine Sternstunde.