Hamburg. Der in Hamburg lebende Musiker und Produzent Farhot möchte die aktuellen Schreckensbilder ergänzen und zeigt lebensfrohe Bilder.

In schneller Abfolge sind zahlreiche Impressionen aus Afghanistan zu sehen: Frauen beim Yoga. Männer im Fitnessstudio, beim Volleyballspielen, beim Pferderennen. Bademoden im Schaufenster. Unterhaltungsshows. Gemeinsames Essen. Lebensfrohe Bilder einer vielschichtigen Gesellschaft, die wie ein verblassender Traum wirken angesichts der aktuellen Katastrophe am Hindukusch.

Es sind Filmschnipsel aus längst vergangenen Tagen, die der Hamburger Produzent und Musiker Farhot da in dem aktuellen Video zu seinem Song „Sampling Watana“ zeigt. Eine kollaborative Arbeit mit der visuellen Künstlerin Moshtari. Zu finden ist die Nummer auf dem hoch gelobten Album „Kabul Fire Vol. 2“, das Anfang des Jahres erschienen ist. Traditionelle Klänge werden da neu zusammengefügt und mit heutigem Groove aufgeladen.

Hamburger Musiker Farhot in Afghanistan geboren

Eine große musikalische Annäherung an eine unbekannte Heimat. Denn Farhot wurde zwar in Afghanistan geboren, wuchs aber in Hamburg auf und kennt das Land nur aus der Ferne – aus Büchern, Filmen, Musik und aus den Erzählungen seiner Eltern, die mit ihm als Baby nach Deutschland zogen. Sein Song und das diese Woche erschienene Video verweisen eindrücklich darauf, Menschen mit komplexeren kulturellen Biografien und deren Geschichte unbedingt differenziert zu betrachten.

Farhot hofft, dass die positiven Szenen in „Sampling Watana“ in der westlichen Öffentlichkeit einen Denkprozess in Gang setzen und die Leidensbilder zumindest ein Stück weit ausgleichen, die mit Afghanistan seit jeher assoziiert werden. „Meistens soll damit zwar an die menschliche Empathie appelliert werden, um Aufmerksamkeit zu generieren. Aber das führt auch zur Abstumpfung und Normalisierung des afghanischen Schicksals“, sagt er.

„Afghanen bleiben immer nur Opfer"

Sprich: Wenn die Menschen in der Hoffnung auf bessere Lebensumstände ihr Land verlassen, sind sie ausschließlich „Flüchtlinge“. Ein Stempel, ein Dilemma. „Afghanen bleiben – auf diese Weise erzählt – immer nur Opfer, keine selbstbestimmten Menschen. Dieses Video vermenschlicht hoffentlich: Es zeigt afghanische Kultur in ihrer Alltäglichkeit, die trotz des kollektiven Leides immer gelebt wird.“‟

Angesichts der aktuell dramatischen Lage bietet ihm sein eigener kultureller Beitrag allerdings wenig Trost, erklärt Farhot. Zu sprachlos machen die Geschehnisse in seinem Geburtsland. Und zu bestürzend sind die Nachrichten aus dem unmittelbaren Umfeld.

Taliban meldeten sich mit Drohungen

Er berichtet etwa von einem Filmemacher, der von Kabul aus mit Farhot und seinem Team an einem kommenden Projekt gearbeitet hat: „Er steckt derzeit an den EU-Außengrenzen fest und wartet auf ein Deutschland-Visum, während seine Familie nicht mitevakuiert wurde. Dabei haben die Taliban sich mit Drohungen schon bei ihnen gemeldet.“ Aktuell versuchen Farhot und seine Freunde einen Weg zu finden, um die Familie auf eine Evakuierungsliste zu setzen. „Aber wir wissen nicht, wie.“‟

Zusätzlich zu dieser akuten Tragödie kommt die Sorge, dass die Kultur des Landes langfristig vernichtet wird. „Durch das erste Taliban-Regime in den 90ern ist schon so viel ausgelöscht worden und verloren gegangen“, erklärt Farhot. Das Lied „Watan Rana Kawoo“, auf dem sein Song „Sampling Watana“ basiert, stammt aus den 80er-Jahren und wird von Sängerinnen in afghanischer Tracht aufgeführt.

„Wir werden das Heimatland erleuchten“

Der Titel bedeutet so viel wie „Wir werden das Heimatland erleuchten“. Farhot erläutert, was die Strophen sinngemäß bedeuten: „Wir wollen Armut und Leid aus unserem Heimatland fernhalten / die Dunkelheit der Unwissenheit fernhalten / auch Korruption und Verrat fernhalten / nicht mit Öl, sondern mit Wissen und Vernunft erleuchten wir das Licht aller Lampen / Wir sind ein Volk der Vernunft, und kraft Wissens erleuchten wir das Heimatland.“‟

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Diese aussagekräftigen Worte ergänzt Farhot in „Sampling Watana“ mit einem Text der afghanisch-hamburgischen Künstlerin Moshtari. Als Mitbegründerin des internationalen Kollektivs „Afghan Visual Arts History“ setzt sie sich dafür ein, dass sich Kunstschaffende mit afghanischen Wurzeln vernetzen, um ihre kulturelle Vergangenheit zu erkunden und ihre künstlerische Gegenwart gemeinsam zu gestalten.

„Sampling Watana“: Es geht um Heimatverlust

In „Sampling Watana“ erzählt Moshtari von Heimatverlust und von der Fragmentierung der eigenen Identität. „Es gibt so viele verschiedene Versionen von uns / wir wissen nichts voneinander / weil wir überall sind“, proklamiert Moshtari zu der neu arrangierten und elektronisch verfremdeten Melodie des alten Volksliedes. Sie bezieht sich auf die Vertriebenen. Und auf jene, die in Afghanistan geblieben sind. Ihre Lyrik erscheint fett gedruckt in den Szenen des Videos, das der Motion-Designer Robert Do-Sun Rhee editiert hat.

Farhot und sein Team sehen in ihrer Arbeit eine Möglichkeit, der afghanischen Diaspora ein Stück ihrer Heimatkultur neu zusammengesetzt zur Verfügung zu stellen. Diese Praxis hat für den Produzenten jedoch derzeit einen äußerst bitteren Beigeschmack. „Denn ich denke daran, dass noch viele weitere Generationen von Afghanen in der Diaspora heranwachsen werden und sich einen Teil ihrer Identität mühsam, aus der Ferne und digital erschließen müssen.“‟