Hamburg. Emotionale Songs und sympathische Patzer: Der Hamburger Sänger feierte mit 900 Fans beim ersten von drei ausverkauften Abenden.

Vor einem Jahr hatten Johannes Oerding, sein Team und die Karsten Jahnke Konzertdirektion die verwegene Idee, trotz Pandemie ein „Lagerfeuerkonzert“ im Stadtpark anzukündigen. Als einmaliges Ereignis geplant, wurden daraus 15 Konzerte auf der extra neu gestalteten Baldachinbühne. Und zwölf Monate später sind am Freitagabend alle wieder da. Oder immer noch: die Pandemie, die Rundbühne, Johannes Oerding mit Band und 900 Fans beim ersten von drei ausverkauften Konzerten.

Man gewöhnt sich so langsam an die Umstände, die entsprechenden Regeln und Einschränkungen. An das „Hier nicht lang“, an das „Haben Sie sich mit der Luca-App eingecheckt?“ oder an das „Maske über die Nase!“ des Ordnungspersonals. An die leeren Stuhlreihen als Abstandshalter – oder zusätzliche Kapazitäten, wenn die Situation es denn zulassen würde.

Johannes Oerding im Stadtpark: Fans sind sofort voll da

Die Stimmung jedenfalls ist bei Oerdings erstem Song „Kreise“ genauso gut wie in der vergangenen Stadtpark-Saison oder bei seinen Konzerten in der Barclaycard Arena oder in der Sporthalle. Die 900, darunter viele Stammfans, sind von der ersten Minute an voll da, singen mit und stehen nach und nach auf. Jubel. Hingabe. Ablenkung. „Genauso habe ich mir das vorgestellt“, ruft Oerding und entzündet die schon traditionelle große Feuerschale vor der Backstage-Hecke: „Es soll ja später ein bisschen kühler werden“.

„Und wenn die Welt“, „Alles okay“ und „Traurig aber wahr“ sind der Start in den Abend, und man könnte bei Oerding, der auch in Coronazeiten fleißig streamte, tourte, Songs veröffentlichte und in TV-Shows präsent war, eine gewisse Routine vermuten. Aber die gibt es nicht. Als Vollblutmusiker und Perfektionist ist eine tadellose Show sein Ehrgeiz, er würde bei seinen Strandkorb-Konzerten nie „Das geht mir ziemlich auf’n Sack, ich hab keine Lust mehr“ sagen und verschwinden wie gerade Helge Schneider bei einem Auftritt in Augsburg. Jede seiner Shows lässt Oerding aufzeichnen, um sie anschließend noch mal durchzuhören.

Wie ein Formel-1-Fahrer, der die zackigen Grafiken der Telemetriedaten studiert: Welcher Ton saß nicht, welcher Song kam nicht so gut an, welche Ansage war zu lang? An diesen Abend jedenfalls läuft tatsächlich auch mal etwas anders als geplant.

Bei „So schön“ wird der Stadtpark zum Chor der 900 Fans

Auf Rundgänge durch das Publikum will Oerding eigentlich derzeit verzichten. Zu groß ist das Risiko, dass sich Trauben um den Publikumsmagneten bilden, man sich zu nahe kommt, berührt. Aber schon nach vier Liedern gehen die Pferde mit dem Sänger durch, Leibwächter „Happy“ rollt mit den Augen und begleitet den Chef auf einen vorsichtigen Spaziergang durch die Blöcke.

Fan Simone darf sich ein Lied wünschen und bekommt „Leuchtschrift“, das eigentlich gar nicht auf der Setlist steht. Und bei „So schön“ wird der Stadtpark zum Chor der 900. Die Ansagen werden länger, Oerding grüßt jedes Crew-Mitglied und erinnert emotional an die Opfer der Hochwasserkatastrophe.

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Die Band brilliert, der Chef patzt – das ist live

Wie im Vorjahr gibt es wieder eine Barbershop-Version von „Love Me Tinder“. Die Band kommt an den Bühnenrand und Oerding erzählt süffisant, wie lange seine Musiker im Proberaum eingesperrt waren, um die Harmonien noch besser zu treffen als im Sommer 2020. Und Robin Engelhardt (Bass), Moritz Stahl (Gitarre), Simon Gattringer (Schlagzeug) und Kai Lindner (Klavier) machen ihre Sache sehr gut. Oerding hingegen hat sich so weit aus dem Fenster gelehnt und seine Band veralbert, dass er den Text vergisst. Das ist nicht einstudiert. Das ist live. Das ist Karma.

Nach „Nie wieder Alkohol“ mit einem eingestreuten „Rehab“ von Amy Winehouse und „Blinder Passagier“ kommt der Lagerfeuer-Musikteil. „Country Roads“, „Man In The Mirror“, „Nothing Else Matters“ und „Wonderwall” erinnern an Oerdings Jugendzeit als Sänger von der letzten Bank im Schulbus. Das aus dem Publikum spontan gewünschte „An der Nordseeküste“ gelingt nicht so gut, Oerding kommt ja vom Niederrhein. Aber der gute Wille zählt und wird vom Publikum ebenso frenetisch gefeiert wie die Hymne „Heimat“. Die sollte ursprünglich „Hamburg“ heißen, wie Oerding erzählt, aber am Ende sprach dagegen, dass er sich überall dort zuhause fühle, „wo viele gute Menschen sind“. Und diese Orte sind immer mehr geworden, je länger der Tourneekalender wurde.

Holt Oerding Lotto King Karl als Stadtparkkönig ein?

In Hamburg soll es am 20. Februar 2022 endlich wieder in die Barclaycard Arena gehen, aber wer weiß schon, wie sich die Corona-Situation bis dahin entwickelt? Vielleicht gibt es auch erstmal nur weitere Stadtpark-Auftritten. Und wenn das so weiter geht, holt Oerding noch Lotto King Karl als Stadtparkkönig ein. Lotto ist am 21. August zum 51. Mal in seinem Revier, Oerding kommt bereits auf knapp halb so viele Auftritte dort.

Das Publikum wäre jedenfalls sofort wieder mit von der Party. Bei „Alles brennt“ und besonders beim Hit „An guten Tagen“ stehen und tanzen alle. Auch bei „Die guten Zeiten“, obwohl dieses Lied ungute Erinnerungen weckt: „Da schreibst du einmal einen EM-Song und dann spielen die so einen ...“ ärgert sich Oerding. Es ist spät geworden nach zwei Stunden Programm – und kühler. Die traditionelle 22-Uhr-Grenze des Ordnungsamts ist erreicht. „Ich will noch nicht nach Hause“, singen Band und Fans. Aber keine Sorge, es kommen ja alle wieder. Schon am nächsten Tag. Und am Tag danach auch.

Johanns Oerding in der Barclaycard Arena So 20.2.22, Karten zu 49 Euro im Vvk.