Hamburg. Die Hamburger Autorin Simone Buchholz hat das Finale ihrer Romanreihe geschrieben. Cool, hochprozentig und ziemlich melancholisch.

Theke, jetzt. Alkohol, nicht zu knapp. Andere, fremde Menschen, mit denen man besser allein sein kann als – naja, als ganz allein eben. Dunst und Schweiß und dieses Schwanken, das an solch einem Ort Sinn ergibt, und diese Rettung, die hält, bis es hell wird oder wenigstens solange die Jukebox läuft.

Beim Schreiben ihres neuen Romans, das hat die Hamburger Schriftstellerin Simone Buchholz jüngst in einem Podcast verraten, habe sie R&B-Sängerin Millie Jackson gehört, permanent. Wiederholt man das beim Lesen, zieht und wühlt es einerseits ziemlich heftig in der Brust – andererseits: Näher an eine Kneipennacht als bei der Lektüre von „River Clyde“ kann man dieser Tage kaum kommen.

Man kann sich beim Lesen eine ganze Playlist machen

Es muss auch nicht Millie Jackson sein, Johnny Cash fügt sich vielleicht sogar noch geschmeidiger: „Die Johnny-Cash-Orgie kommt von allen Seiten, und sie öffnet mein Herz mit einem tiefen, präzisen Schnitt. Ich bestelle sofort ein kleines Bier und einen großen Whisky.“ Es ist Simone Buchholz’ Finale. Genauer, natürlich: Chastity Rileys Finale.

 Der letzte Band der fantastischen Hardboiled-Reihe um die trinkfeste Staatsanwältin Chastity Riley, die Buchholz mittlerweile durch – inklusive dieser – zehn Folgen und zwei Verlage (anfangs Droemer Knaur, längst Suhrkamp) begleitet. Und man kann sich beim Lesen eine ganze Playlist machen (ruhig das Nebelhorn eines Containerschiffs mit einplanen!): „And I’ve tried to settle down/ Every now and then/ But I am a travelin’ man...“

Riley ist eine unruhige Seele

Dass Simone Buchholz ihrem neuen Kriminalroman „River Clyde“, so benannt nach Schottlands drittgrößtem Fluss, jetzt diesen Songtext des Hamburger Country-Vagabunden Digger Barnes voranstellt, trifft den Weltschmerz ihrer gebrochenen Romanheldin im Kern: Auch Riley ist eine unruhige Seele, die weibliche Variante des einsamen Cowboys (sie „Cowgirl“ zu nennen, wäre nicht dasselbe), der tut, was er kann, aber keine innere Ruhe findet, um sesshaft zu werden, an einem Ort, bei einem anderen Menschen. Und wahrscheinlich ist „River Clyde“ in Wahrheit auch gar kein Krimi, sondern ein Western. Ein schottisch-hamburgischer Western. Oh doch, das funktioniert ganz prächtig.

„Kopfschussmucke“ nennt Riley, die St. Pauli mittlerweile gegen Glasgow ausgetauscht hat, die Cash-Songs, die dort im Pub gespielt werden. Nachmittags schon. Und Rileys Leben im Hamburger Rotlichtviertel, das sich von Beginn an nicht eben schnurgerade in der Spur hielt (für eine Staatsanwältin schon gleich gar nicht), war im Band neun derart ins Taumeln geraten, dass auch das Festhalten an der vertrauten Kieztheke nicht mehr ausreichte.

Geister der Vergangenheit

 Ihr väterlicher Freund Faller ist tot, es gab eine Geiselnahme und eine Explosion, Fallers Polizeieinheit und Riley hat diese Erfahrung „die Seele in Fetzen gerissen“. Nun ist da ein Haufen Versehrter. Die einen versuchen sich an einer Art hausgemachter Gruppentherapie mit Anfassen, um die „faustgroßen schwarzen Löcher in ihrem Leben“ zu stopfen, die anderen beschatten halbherzig ein paar verschlagene„Immobilieninvestmentarschlöcher“.

Riley gibt ihrem Kollegen Stepanovic erst unter einem Rhododendron „einen aus, Größenordnung Lokalrunde“, dann haut sie nach Schottland ab, auf die andere Seite der Nordsee. „Nähe gehört abgeschafft.“ Man kennt das aus einschlägigen Roadmovies: Manchmal muss man erstmal weit weg, um – irgendwann, vielleicht – bei sich anzukommen.

In Schottland begegnet sie der Trauer und – buchstäblich – den Geistern ihrer Vergangenheit. Teils ziemlich pragmatischen Gespenstern, übrigens. Ein geerbtes Haus, die Erinnerung an die Mutter, die die Familie früh verließ, und den Vater, der sich in den Kopf schoss. Riley räumt weiträumig auf, während sie neue (Kneipen-)Bekanntschaften macht und der dunkle Fluss, River Clyde, dem Buchholz als Titelfigur eine eigene Stimme gibt, versucht, sie zu sich zu ziehen. „Vielleicht“, denkt sie, „komme ich unter den Toten besser klar als unter den Lebenden.“

Eine irrsinnig coole, aber auch irrsinnig demolierte Heldin

Nach dem kapitalen Knall des letzten Bandes, „Hotel Cartagena“, wirkt „River Clyde“ nun fast wie ein halb düsterer, halb versöhnlicher Epilog zur Reihe. Das zugleich ungesunde wie lebenserhaltende Beziehungs- und Stimmungsgeflecht des Personals wird noch einmal aufgearbeitet: „In Wirklichkeit sind sie vielleicht nur eine ziellos durchs Leben marodierende Truppe gescheiterter Revolvergesichter, denen diese eine richtig kaputte Figur abhanden gekommen ist, neben der sie am Ende immer noch ganz stabil wirkten.“

Buchholz’ Tonfall hat dabei genau die „richtige Portion Melancholie in der Unterströmung“, wie die Autorin einmal einen Indie-Song inmitten des ganzen Johnny-Cash-Soundtracks beschreibt. Und bei aller Kaputtness ihrer Figuren, sind es Buchholz’ Sprache, die pointierten, rasanten Dialoge, diese Lust am Bilder- und Wörter-Erfinden, ihr trockener Witz (wie sie zum Beispiel die evolutionsbedingte „Feinfühligkeit“ von Männern beschreibt) und ihr Kratzen am Gefühl, die beim Lesen so unglaublich viel Spaß machen.

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Dass die irrsinnig coole, aber auch irrsinnig demolierte Heldin ausgerechnet auf der „Great Western Road“ in den Sonnenuntergang reitet (oder jedenfalls: so ähnlich), an ihrer Seite ein Schotte mit Liebeskummer, gerät schon deshalb nicht in Kitschgefahr, weil sie sich an anderer Stelle von Vogelscheiße an zu Hause erinnern lässt. Möwenvogelscheiße, wohlgemerkt. Womit übrigens nichts gegen ein bisschen Kitsch gesagt sein soll, es kommt ja bei allem immer auf die Dosis an. Beim Beschreiben von Gemütszuständen reicht Simone Buchholz da manchmal ein „Fuck“ – und manchmal müssen es tuschelnde Eismeerjungfrauen sein.

Oder eben eine Kneipe, die Älteren erinnern sich, in der man genau dann richtig durchatmen kann, wenn es gerade keine frische Luft gibt. „Die Luft soll angereichert sein mit Atem, mit Stimmen, mit Sätzen, mit Geschichten. Die Luft soll kleben.“ Die Tröstlichkeit besteht darin, dass die Außenwelt draußen bleibt und nur so die Innenwelt mal Ausgang kriegt.

Simone Buchholz liest am 9.3., 19.30 Uhr, im Live-Stream des Literaturhauses. Moderation: Karen Köhler, Streamingtickets zu 5 Euro sind erhältlich unter www.literaturhaus-hamburg.de