Hamburg. Regisseur Antú Romero Nunes zeigte den ersten Teil einer unvollendeten Schiller-Arbeit als Film – was verblüffend gut funktionierte.

„Das Haus wäre ausverkauft, wenn alle Online-Gucker jetzt am Alstertor wären“, twittert das Thalia Theater irgendwann, mitten in der Vorstellung. Hashtag: #theshowmustgoon, Herz-Smiley. Es sind aber nicht alle am Alstertor zur Premiere von Antú Romero Nunes „Maria Stuart. Ode an die Freiheit 1“. Es sind alle im Internet. Anders ist das Format nämlich nicht zu sehen, der echte Thalia-Zuschauerraum muss wie alle Theater dieser Tage leer bleiben. Das zeigt auch der Film, den der scheidende Hausregisseur Nunes hier auf der theatereigenen Website statt seines eigentlich geplanten Schiller-Triptychons zur Aufführung bringt. Mit zunächst drei Darstellern statt mit großem Ensemble, termingerecht, nicht zu jeder Tageszeit wiederholbar, um wenigstens die Illusion eines theatralen Gemeinschaftserlebnisses im Repertoire-Betrieb ein wenig aufrecht zu erhalten.

Ein Blick auf Schauspieler bei der Abendroutine

Und das Konzept ist verblüffend überzeugend: Nicht einfach eine abgefilmte Szenenfolge bekommt man da zu sehen, sondern eine Beschäftigung mit dem Schiller-Stoff und mit der Situation. Die Umstände der Produktion fließen in die Arbeit ein – ohne dass der Film, für den Filmemacher Martin Prinoth das Ensemble begleitete, eine Dokumentation wäre. Stattdessen sehen wir Schauspieler bei der Abendroutine. Die Grandes Dames des Ensembles, Karin Neuhäuser und Barbara Nüsse, schminken sich in der Garderobe für ihre Rollen als Maria Stuart und Elisabeth I., setzen sich Perücken auf, repetieren ihren Text. Karin Neuhäuser hustet – in die rechte Hand statt in die Armbeuge. Was einem plötzlich so auffällt.

Die Schauspielerinnen spielen sich selbst – und während Karin Neuhäuser der Kollegin ihr Parfüm zeigt („Sieht ein bisschen aus wie das Coronavirus, findste nicht?“) und sich beide auf den Weg zur Bühne machen, trifft noch ein dritter Akteur seine Vorbereitungen: Josef Ostendorf wäscht sich die Hände, singt „Happy Birthday“ dabei, wie man es in Corona-Land gelernt hat, nebelt eine Sektflasche mit Desinfektionsspray ein. Trinken darf man im Parkett sonst nicht, aber er ist ja der einzige Zuschauer (mal abgesehen von uns an den Bildschirmen), er nimmt sich die Freiheit. Seine Anwesenheit lässt die Leere um ihn noch schmerzvoller wirken.

Kraft der Schauspielerinnen überträgt sich

Auftritt Elisabeth und Maria, die – ausgerechnet – beklagt, „von aller Welt geschieden“ zu sein, ein Gefühl, dass man auch als Zuschauer derzeit ganz anders teilen kann. „Wohl, es ist Hoffnung, dass es bald nun endet“, sagt Elisabeth. Es folgt ein Fragment der Inszenierung, eine Szene, die ahnen lässt, wie toll die Arbeit sein wird, wenn man sie eines Tages in Gänze und im Theater erleben wird, hoffentlich: Maria Stuart, die Dosenbier süffelnde Königin von Schottland, und Elisabeth I., die Königin von England mit der Sektflasche am Hals. Zwei Zankweiber auf der Parkbank, einander in Abneigung herzlich verbunden, die das Keifen und die Eifersüchteleien so routiniert wie genüsslich ausspielen. Beide kennen die Bürde der Macht nur zu gut.

Die Kraft der Schauspielerinnen überträgt sich tatsächlich trotz der räumlichen Trennung – mit welchem Furor Karin Neuhäuser eine Banane erledigt! Beim „Rollen-Tausch“ am Schluss kommt sogar eine Klopapierrolle zum Einsatz, das kann man lustig finden. Der Abspann jedoch bedrückt – all diese Namen, die eigentlich zur Inszenierung gehören. Keiner verbeugt sich. Dabei ist das Theater doch eine Kollektivkunst, eine, zu der auch das Publikum gehört. Das gemeinsame Atmen, die Energie, die Spannung im Raum. Das Traurigste bleibt somit der permanente Blick ins leere Parkett, in die leeren Ränge. Kein Applaus.

Ach, diese Lücke.

„Wilhelm Tell“, Teil 2 des Schiller-Triptychons, hat am Sa 4.4., 19 Uhr, Premiere.

„Maria Stuart“ wird am Fr 3.4., 19 Uhr, auf www.thalia-theater.de wiederholt.