Hamburg. Marina Wandruszka füllt den Monolog in Raoul Schrotts „Mind The Gap“ mit Leben – an einem bemerkenswerten Spielort.
Eine alte Frau sitzt in der U-Bahn-Station. Liest ein Buch. Schneidet einen Apfel. Und redet: Sie erzählt von ihrem Tag, sie spricht über die Ehe, über ihre Arbeit als Biologin, über Sex, über den behinderten Sohn. Und irgendwann wird klar, dass der Mann, mit dem sie redet, gestorben ist, vor fünf Jahren. Die Frau wartet auf seine Stimme, die ertönen wird, sobald der nächste Zug abgefertigt wird: „Mind The Gap“, „Achten Sie auf die Lücke zwischen Zug und Bahnsteig“. Ihr Mann war Schauspieler, und einst, als Student, hatte er diese Ansage eingesprochen.
Raoul Schrotts „Mind The Gap“ stammt aus dem „Erste Erde Epos“ von 2016 – kein dramatischer Text, ein Langgedicht, das Trauerarbeit aus streng naturwissenschaftlicher Perspektive nachzeichnet. Am Thalia Theater hat Matthias Günther den Text als Monolog für Marina Wandruszka eingerichtet, und die Mittsechzigerin füllt die Vorlage sparsam, aber wirkungsvoll mit Leben.
Spielort ist der Lastenaufzug im Thalia
Allein: Es passiert schlicht gar nichts, eine szenische Idee, die über Schrotts Ausgangsidee hinausweist, fehlt der Aufführung fast völlig. Der Spielort freilich ist bemerkenswert. „Mind The Gap“ wird im Lastenaufzug des Theaters gezeigt, und obwohl das Raummonstrum in der fünften Etage verharrt, ist das ein Platz, der im Vergleich zu einer schnöden Bühne verzaubert ist, ein industriell geprägter Unort, der die Bewegung als Möglichkeit in sich trägt und so auf den Durchgangsort U-Bahn-Station verweist.
Als Theater bleibt das wenig ergiebig, aber der Inhalt wird durch Wandruszka mit Geschichte gefüllt. Und das ist nicht wenig, wenn man sich die Vorlage genauer anschaut: Die naturwissenschaftliche Sprache, der leidenschaftslose Blick auf Verfall, Krankheit und Körper liefen bei einer weniger versierten Schauspielerin Gefahr, mit Pathos überladen zu werden.
Wandruszka kleidet sie in spöttische Abgeklärtheit. „Ohne Sex wäre das ein stummer Planet sich teilender Zellen“. Nicht die schlechteste Reaktion auf den Verlust eines Geliebten. „Mind The Gap“, „Vorsicht, Abgrund!“ übersetzt sie mit sinistrem Lächeln.
Mind The Gap Wieder am 3. / 17. / 23. 2., Thalia (Lastenaufzug), Alstertor. Alle Aufführungen ausverkauft, evtl. Restkarten an der AK