Hamburg. An der Staatsoper Hamburg hatte Calixto Bieitos Inszenierung von Verdis „Falstaff“ mit Ambrogio Maestri in der Titelrolle Premiere.

Das frontale Schlussbild, als zeitlose Warnung auf die kulissenbefreite Bühne gestellt, ist das stärkste Stück dieser über weite Strecken arg anständig gebauten Inszenierung an der Hamburger Staatsoper. Es geht hart mit der Wirklichkeit ins Gericht, während es dennoch – wir sind immerhin noch in einer komischen Oper nach einer Shakespeare-Vorlage – auch die wahre Größe eines Individuums und seines Charakters zeigt. Trotz allem, was er tat; trotz allem, was ihm, verdient oder nicht, angetan wurde. Das ist nicht immer unmittelbar schön anzusehen. Doch es ist alles, was Oper nun mal sein sollte: aufrichtig. Katharsis und so.

Aber zurück zum Anfang. Wenn man einen Klassiker wie Verdis „Falstaff“, diese turbulente Klamauk-Sause über den verfressenen, eitlen, gestrigen Ritter von sehr trauriger Gestalt, ernsthaft komisch inszeniert haben möchte, ist der als Brachial-Bebilderer bekannte Calixto Bieito eher nicht der erste Regisseur, der einem dafür einfallen würde.

Bietros "Falstaff" fällt nicht mit der Tür ins Haus

Andererseits: reizvolle Idee, diese Besetzung derart krass gegen den Konventionen-Strich. Und wie schon zu Beginn seines Hamburger „Otello“ vor drei Jahren fällt der oft missverstandene Humanist Bieto auch jetzt nicht mit der Tür ins Haus, hier in einen Pub in Windsor, dessen Anblick nach ranzigem Frittenfett und nikotingelben Arbeiterfingern müffelt.

Er wärmt stattdessen langsam vor, will auf das Schicksal eines tragisch abgestürzten Helden einstimmen. Mit einem stummen Kurz-Prolog, in dem der gefrustete Adlige versonnen einige Austern mit Schampus als Erinnerung an bessere Zeiten wegnascht, bevor er – nützt ja nix – mit seinen unterintelligenten Tresen-Buddies den Plan ausheckt, zeitsparend zwei Frauen mit dem selben Brief zu umgarnen und gründlich abzuzocken.

Ambrogio Maestri hat das Körperkaliber für Falstaff

Der Falstaff, den Ambrogio Maestri ins Susanne Gschwendners Bühnen-Bild stellt wie ein Gebirgsmassiv, hat das Körperkaliber für diese Parade-Rolle, auf die er weltweit abonniert ist. Er hat das Stimmvolumen und das Erzähl-Talent, um sich in jedem Moment ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu singen. Bei Bieito ist der Kneipen-Stammgast Kneipen-Koch geworden, die so halbwegs lustigen Weiber von Windsor, mit denen er sich anlegt, umweht jene ruppige „Little Britain“-Kumpelei, der schon nach einem lauwarmen Pint zuviel ins Gallige und Gemeine kippen kann.

Alice Ford (Maija Kovalevska) und Meg Page (Ida Aldrian) stehen dafür präsent und souverän auf der Bühne, die Mrs. Quickly von Nadezhda Karyazina ist ein beeindruckendes Mezzo-Gegengewicht und Oleksiy Palchykov als jugendlicher Liebhaber Fenton ein erfreulicher supporting tenor.

Es geht kreuz und quer durch die Klamauk-Abteilung

Doch bis zur enthüllenden, enthemmten Dekonstruktion des Plots kommt, muss Bieitos Inszenierung erstmal kreuz und quer durch die übervolle Klamauk-Abteilung: Der verkleidete Mr. Ford (Markus Brück) stapft dort als Bilderbuch-Russe, dick eingepackt in Fell, ins Spiel. Der schon im Original flaue Gag mit Falstaff, einem Wäschekorb und der Themse bekommt ein mittelprächtig witziges Update, mit schönem Gruß an die Trash-Kollegen im RTL-Dschungelcamp. Nun ja, den geschliffenen Upper-Class-Irrsinn eines Monty-Python-Sketches hat all das nicht. Während sich also der Pub auf der Bühne dreht und wendet, mal hier öffnet, mal dort Setzkasten-Einblicke erlaubt, tritt der Schwung einer notwendigen Deutung auf der Stelle, weil vor allem anschaulich Action vorgeführt wird statt gedanklich ummöbliert.

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Das gilt auch für den Umgang des Gast-Dirigenten Axel Kober mit der Partitur. Sein Verdi ist sehr auf pauschale Sicherheit und Ordnung ausgerichtet. Auf italienischstämmiges Temperament und Spaß am Spontanrisiko wartet man, und wartet. Und wartet. Die Philharmoniker gehorchten und funktionierten – nach anfänglichen Koordinationsschwächen in Ensembleszenen – zwar solide in jeder Geschwindigkeit. Doch bis sie begeistern und funkeln, bis man Verdis geniale Szenenzauberer-Handschrift angemessen erkennt, verging einige Zeit am Premierenabend. Er endete mit Jubel für alle anderen und einem Beifall-Protest-Duell wegen des Regie-Teams.

Am Ende wird es grundsätzlich – und hässlich

Erst auf der Zielgeraden des dritten Akts wird es gleichzeitig fein und finster. Denn als sich Falstaff, blind vor Selbstgefälligkeit, im Park von Windsor durch den skurril maskierten Dorf-Mob hinter die sprichwörtliche Fichte führen lässt (die hier eine Eiche ist), lässt Bieito die Komödien-Kulisse hinter sich und wird grundsätzlich. Und hässlich. Die Masken der Normalität können fallen, weil Masken getragen werden können.

Während Nanetta (beeindruckend intensiv: Elbenita Kajtazi) als Feenkönigin ihren großen Auftritt hat, beginnt das Stück dank der Musik über diese Rohheit hinweg zu schweben, die Kober transparent und grazil werden lässt. Ganz im Gegensatz zu Falstaff, der beim Alle-gegen-einen verdroschen wird. Mit jovialem „Foppen“, wie man es bei good old Shakespeare nachschlagen könnte, hat das nichts mehr zu tun, was hier passiert. Dennoch, als wäre es eine Anspielung auf Elton Johns „I’m Still Standing“, hat Falstaff den letzten Lacher, als die Schlussfuge einsetzt: „Tutto nel mondo è burla, l’uom è nato burlone.“ Alles ist Spaß auf Erden, der Mensch als Narr geboren. Und Verdis Spätwerk genau deswegen – und trotz Bieitos Übersetzungs-Schwächen – ein starkes Stück.

Weitere Termine: 22. / 25. / 28.1., 4. / 8.2., 25. / 29.3. jeweils 19.30 Uhr. Karten (6 bis 109 Euro) unter T. 356868. www.staatsoper-hamburg.de. 25.1. 22.45 Uhr, Parkett-Foyer: OpernForum Diskussion zu „Falstaff“ mit Wissenschaftlern der Universität Hamburg. Eintritt frei.