Hamburg. Besonderes Duett im Großen Saal: Pianist Joja Wendt holt Bürgermeister Peter Tschentscher aus dem Publikum ans Klavier.

„Wenn alle Regierungschefs auf der Welt Klavier spielen könnten, dann sähe unser Planet mit Sicherheit besser aus“, sagt Joja Wendt unter lautem Beifall des Publikums gleich zu Beginn seines ausverkauften Konzerts am Freitagabend in der Elbphilharmonie.

Wenig später holt sich der Hamburger Ausnahme-Pianist „seinen“ Regierungschef dann einfach auf die Bühne. Und während Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) bei dieser Weltpremiere in der Elbphilharmonie das 1. Präludium von Bach gekonnt und gefühlvoll vom Notenblatt spielt, und Joja Wendt dazu neben ihm auf dem Hocker sehr frei und virtuos eine Melodiestimme auf die Tasten zaubert, gerät die Welt da draußen wirklich für einen langen Moment in Vergessenheit.

Joja Wendt schwärmt vom Auftritt des Bürgermeisters in der Elbphilharmonie

Am Sonnabendmorgen schwärmt Pianist Joja Wendt am Telefon von der großen Spontaneität des Bürgermeisters: "Es war ein großes Wagnis für ihn, das Risiko, sich bei dem ausverkauften Konzert zu blamieren, groß. Aber er hat das grandios gemacht".

Umarmung am Flügel: Joja Wendt und Bürgermeister Peter Tschentscher haben in der Elbphilharmonie gemeinsam Bachs Prädudium in C-Dur gespielt haben.
Umarmung am Flügel: Joja Wendt und Bürgermeister Peter Tschentscher haben in der Elbphilharmonie gemeinsam Bachs Präludium in C-Dur gespielt. © Screenshot HA

Vor einigen Wochen hätten beide bei einem Gespräch im Rathaus über die Aktion "laut nachgedacht". Wendt: "Später schickte ich Peter Tschentscher die Noten, habe aber nicht damit gerechnet, dass er wirklich mitmacht" – bis Freitagabend. Das Publikum jubelte beiden zu.

Elbphilharmonie: Joja Wendt holt Peter Tschentscher ans Klavier

Diese Begeisterung schafft nur die Musik. Zumal wenn sie keine Grenzen kennt und von einem Künstler dargeboten wird, der sich nie damit zufrieden gegeben hat, nur ein Genre zu beherrschen. Boogie-Woogie und Jazz, Klassik und Pop – für Joja Wendt gibt es nur die Töne. Und das Spielen. Und das im Grunde, seit er vier Jahre alt ist. Er hat das mal als „Lautmalerei am Klavier“ bezeichnet. Und die ersten Tastenversuche führten den Sohn einer Sängerin und eines Hamburger Arztes in eine Welt, „in der das Wort ‘Improvisation’ groß geschrieben wird“.

Folgerichtig setzt er sich in der Elbphilharmonie, in der er bereits am Nachmittag ein ausverkauftes Zusatzkonzert gegeben hat, an den Steinway-Flügel und singt: „Ich bin der Piano-Mann, und ich spiel und spiel und spiel und spiel.“ Begleitet wird Joja Wendt bei diesem Song von dem großartigen Hamburger Jazz-Kombinat. 13 Bläser, mit denen er sichtlich gerne die Bühne teilt, weil auch das seine Botschaft ist: Musik mag manchmal eine Solo-Veranstaltung sein, viel schöner ist sie als gemeinsames Erlebnis.

Denkwürdiger Konzertabend in der Elbphilharmonie

Deshalb beginnt das Konzert auch nicht mit ihm – sondern mit Myra Maud. Die großartige Sängerin, die bereits auf der ganzen Welt Erfolge gefeiert hat, stimmt das Publikum mit einem Song von Leonard Cohen auf den Abend ein: „Hallelujah“. Praktischerweise geht der Refrain nach wenigen Takten in „Hallo Joja“ über. Es ist der Auftakt für einen denkwürdigen dreistündigen Konzertabend.

Zu dem gehört auch Taimane Gardner, die aus Hawaii nach Hamburg gekommen ist. Einen bunten Blumenkranz im Haar und die Ukulele am Körper, die scheinbar mit ihr verwachsen ist. Da haben sich zwei verwandte Musiker-Seelen gefunden. Joja und Taimane flitzen über die Tasten und die Saiten, das einem allein vom Zusehen schwindelig wird.

Eine Kamera projiziert das wilde Finger-Treiben auf eine riesige Leinwand, die über den Künstlern schwebt. Manchmal bespielt Joja Wendt das Instrument in einem solch atemberaubenden Tempo, das man sich fragt, ob er vielleicht mehr als zwei Hände hat? Oder mehr als fünf Finger an einer Hand?

Erstmals hat Joja Wendt Pop-Interpretationen auf dem Klavier vertont

Als Bühnen-Deko hat der 55-jährige Hamburger seinen alten Schrank samt Plattensammlung und Fender Rhodes-Piano mitgebracht. Dort und am Flügel spielt er dann einige Klassiker der Pop-Musik. Denn das ist das eigentliche Motto dieser Show: „Stars on 88“. So lautet auch der Titel der gleichnamigen CD des preisgekrönten Pianisten, der einst im „Sperl“ am Großneumarkt, vor 40 Jahren das Zentrum der Hamburger Blues-Szene, von Joe Cocker entdeckt wurde.

Erstmals hat Joja Wendt Pop-Interpretationen auf dem Klavier vertont. Das haut bei AC/DC, als er sich vorsichtshalber vor dem Song am Klavierhocker anschnallt, nicht so richtig hin. Und ist bei „Purple Rain“ von Prince ein, wenn nicht sogar der musikalische Höhepunkt des Abends.

Joja Wendt ist ein bescheidener Gastgeber.

Dabei glänzt der Tasten-Teufel nicht nur auf seinem Instrument, dem er selbst mit den Fäusten und der Nase, mit einem Brett, einer Rolle oder einer Mozart-Kugel noch die passenden Töne entlockt. Joja Wendt ist ein sympathischer und bescheidener Gastgeber. Er nimmt sein Publikum mit, er mag den Kontakt, die Club-Atmosphäre, die Nähe.

Er hat mit Chuck Berry, Jerry Lee Lewis und Les McCann musiziert, ist Träger des Louis-Armstrong-Preises, füllt Hallen in China und Russland, Singapur und Südafrika. Viel Aufhebens macht er davon nicht. Der Piano-Mann, der am liebsten nur spielt. Und das selbst dann, wenn er nach einem anstrengenden Konzert noch einen Absacker an der Hotel-Bar nimmt und dort ein Klavier steht: „Erst zuckt mein kleiner Finger, dann zuckt mein ganzer Arm“. Und schon spielt er wieder. Wie kein Zweiter.