Hamburg. 13.500 Fans feiern die christlich inspirierte Erbauungsmusik des Sängers. Für seine Frau hat Xavier Naidoo eine besondere Botschaft.
Am Anfang ist der Bass. Im Zentrum der Barclaycard Arena ertönt das Instrument, der Beat, der Herzschlag. Dann tritt Xavier Naidoo in einen Lichtkegel mitten in der ausverkauften Halle und beginnt zu singen. Und sofort ist alles da, was seine Stimme ausmacht: die Tiefe, die Wärme, das Predigende. „Hansestadt Hamburg, was geht?“, ruft der Sänger. Und 13.500 Menschen jubeln ihm lautstark zu.
25 Jahre Popkarriere lässt Xavier Naidoo derzeit mit seiner „Hin und weg“-Tour Revue passieren. Für 2020 sind zudem zahlreiche Open-Air-Konzerte gebucht. Der gebürtige Mannheimer zählt zu jenen Sängern, die Soul und Schmelz, Gefühl und Groove in die hiesige Popsprache gebracht haben. Ein Sound, der zeigt: Das Deutsche muss nicht stereotyp hart klingen, sondern kann melodisch fließen und fliegen. Ganz so wie bei den US-amerikanischen Vorbildern von der Motown-Ära bis hin zum zeitgenössischen R&B.
Erfolgreich und widersprüchlich
Nummer-Eins-Alben, TV-Shows, Auszeichnungen: Xavier Naidoo ist einer der erfolgreichsten Popkünstler des Landes. Und einer der widersprüchlichsten. Immer wieder sorgte er in den vergangenen Jahren mit verschwörungstheoretischen und politischen Aussagen für heftige Debatten. 2014 etwa trat er bei einer Veranstaltung der sogenannten Reichsbürgerbewegung auf, die die Existenz der Bundesrepublik als legitimen Staat bestreitet.
Auch einige seiner Songtexte lösten immer wieder Kontroversen aus, wurden zum Beispiel als antisemitisch kritisiert. „Baron Totschild gibt den Ton an, und er scheißt auf euch Gockel / Der Schmock ist'n Fuchs und ihr seid nur Trottel“, heißt es etwa in Lied „Raus aus dem Reichstag“ aus dem Jahr 2009.
Keine Kritik in Hamburg
Wegen Zeilen wie dieser hatte eine Referentin der Amadeu-Antonio-Stiftung den Sänger als Antisemiten bezeichnet. Naidoo klagte gegen den Vorwurf und bekam 2018 vor dem Landgericht Regensburg recht. Dennoch irritieren und polarisieren seine ambivalenten Äußerungen bis heute und rufen auch auf seiner aktuellen Tour kritische Stimmen sowie Proteste hervor. Vor seinem Auftritt in der Münchner Olympiahalle am 1. Dezember demonstrierte etwa das „Linke Bündnis gegen Antisemitismus“ mit Aussagen wie „Keine Bühne für Naidoo“.
Anzeichen von Widerstand gegen den Popstar gibt es in Hamburg keine. In seiner Setliste aus 25 Songs spart Naidoo „Raus aus dem Reichstag“ ebenso aus wie weitere umstrittene Stücke, etwa „Marionetten“ und „Nie mehr Krieg“. An diesem Abend ist er nicht Wutbürger. Sondern Bürger mit Hut. Mit Sonnenbrille.In Jacke, Jeans und Sneakern.
Gratulation zum Hochzeitstag
Mit den Worten „Vorsicht: heiß und fettig“ läuft er nach dem Auftakt durch die tosende Menge hin zur großen Bühne, auf der seine sechsköpfige Band bestens aufspielt. Die Diskussionen um den Popkünstler scheinen in diesem energiegeladenen Konzert-Kosmos keine Rolle zu spielen. Zwei Stunden lang präsentiert sich 48-Jährige aufgeräumt, empathisch und blendend gelaunt.
Gemeinsam mit dem Publikum gratuliert er seiner Frau Julia zum Hochzeitstag. Und all die Fans feiern ihn. Die Freundinnen, die am Shuttle-Bus mit Prosecco angestoßen haben. Die Eltern mit ihrer pubertierenden Tochter, die sich gerade noch über den Bio-Unterricht unterhalten haben. Das hip aufgebrezelte Paar, das sich immer wieder abknutscht. Männercliquen, die sich aus nassgenieselter Funktionskleidung pellen. Die Oma, die fürs Selfie posiert.
Reise durch die 90er-Jahre
Mit dem weich perlenden Hit „20.000 Meilen“ reist Naidoo zurück in die 90er-Jahre. Ebenfalls aus dieser Dekade stammt die Ballade „Sie sieht mich nicht“, bei der Naidoos gesamtes Stimmvolumen strahlen kann. Von zarter Verzweiflung bis zu epochalem Druck. Der Sänger schickt Grüße an Jean-Jacques Goldman und Moses Pelham, die diese getragene Nummer geschrieben haben. Ohnehin prägen immer wieder nachdenkliche Stücke den Abend.
„Ich lese und höre, dass dieses Lied Menschen hilft, ihre Angstzustände zu überwinden – das ist ein großes Geschenk für mich“, erklärt Naidoo, als er „Mein Glück ist besiegelt“ ansagt. Mit „Das lass ich nicht zu“ spricht er sich wiederum explizit gegen häusliche Gewalt aus: „Das ist ein Tabuthema. Wir dürfen nicht darüber schweigen.“
Religiös inspirierte Erbauungsmusik
Naidoo singt in Hamburg vom Durchhalten, von Mut und von Veränderung. Eine religiös inspirierte Erbauungsmusik mit hohem Mainstreamfaktor. Seine messianischen Gesten lockert er immer wieder mit Sprüngen, Tänzen oder einem Moonwalk auf. Alles ist geschmeidig. Nichts eckt an. Keine wirren Worte. Keine spitzen Bemerkungen. Konsens statt Angriffsfläche. Und eine Show wie aus dem Konzertlehrbuch: Naidoo nimmt alle mit. Er fordert die Kinder zum Träumen auf. Er dankt ausführlich seinen Mitmusikern, den Technikern und Roadies. Und er lobt das Hamburger Publikum. „Von wegen der kühle Norden – der warme Norden!“, ruft er unter Beifall in den Saal.
„Ich kenne nichts (Das so schön ist wie du)“, die WM-Hymne „Dieser Weg“ und „Bevor du gehst“: Mit diesen Hits legt Naidoo ein eindrückliches Finale hin. Kurz vor Schluss covert er noch Reinhard Mey zu Akustikgitarre und Percussion. „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“, singt er da. Auf der Erde wiederum gestalten sich die Dinge komplexer.