Hamburg. Beim zweiten Konzert des City of Birmingham Orchestra mit der brillanten Mirga Grazinyte-Tyla gab es aber einen berühmten Quoten-Mann.

„Könnte, sollte, müsste“, alles als kategorisch falsch durchgestrichen, und darunter „Machen!“ An diesen beliebten Demo-Slogan erinnerte am Dienstag das Programm, mit dem man, erst recht als Mann, in der Elbphilharmonie angenehmst überrascht wurde: Mirga Grazinyte-Tyla (MGT), hochtourig brillante Chefdirigentin des City of Birmingham Symphony Orchestra (CBSO) hatte Werke und Künstlerinnen kombiniert, die einerseits klarstellten, dass es nicht immer und automatisch vor allem Männer sein müssen, die ins Rampenlicht der Klassik-Branche gehören.

Fein abgeschmeckt wurde das Ganze aber auch mit einer Prise Traditionsbewusstsein und Lokalpatriotismus, denn Ruth Gipps, die erste Komponistin dieses erstaunlichen und lehrreichen „Britain Calling“-Festivalabends, war in den 1940ern Oboistin im CBSO gewesen. Dass Gipps außerdem bei Ralph Vaughan Williams in die Lehre gegangen war, hörte man ihrer kurzen 2. Sinfonie an; immer wieder wogte das elegische Pathos auf, das typisch ist für den avantgardefernen Retro-Charme dieses Sehrspätromantikers.

Grazinyte-Tyla in der Elbphilharmonie: Nichts weniger als bossy

Gipps hatte dieses Stück 1945, mit gerade 25 Jahren geschrieben, die Militaria-Anspielungen auf Schostakowitschs „Leningrader“ Sinfonie standen präsent als Zeitdokumente im Raum. Und was dem Jugend-Stück an reifer Originalität fehlte, bei den vielen episodischen Verweisen auf Vor- und Stimmungsbilder kein Wunder, das machte MGTs plastisches Dirigat wieder wett. Durststrecken in Stücken gibt es für sie nicht, signalisiert jede ihrer Gesten. Sie setzt sich für jeden Takt ein, für jeden Themen-Fortschritt hin zum Schlussakkord. Kein Wunder, dass Orchester so gern von ihr gelenkt werden. Eine tolle Chefin, die alles im Griff hat, und nichts weniger ist als bossy, das hört man.

Genaues Gegenstück zu Gipps war das erst im Juli uraufgeführte Trompetenkonzert, das die Schottin Thea Musgrave für die Trompeterin Alison Balsom maßgefertigt hatte. Musgrave, inzwischen 91, ist für die britische Musikszene, was Queen Mum für die Royals war, sie muss niemandem mehr beweisen, wie einzigartig sie ist. Also schrieb sie ein Konzert, das stark auf Understatement setzt. Der Solo-Part schwebt gelassen über den fein gewebten Begleitstrukturen, Balsom spielte diesen Part mit großem Respekt, sie wollte weniger Virtuosin sein als Geschichtenerzählerin. Wie gut ihr das gelang, bewies der begeisterte Applaus, für derart frische und doch altersmilde Musik keine Selbstverständlichkeit.

Nach der Pause war William Walton, in seiner Heimat berühmter als im Rest der Welt, der Quoten-Mann des Konzerts. Mit der Suite aus seiner Antiken-Oper „Troilus and Cressica“ hatte MGT ein extrem unterhaltsames Stück ausgewählt: mal schmachtend wie ein epischer Sandalenfilm-Soundtrack, mal wunderbar süffig. Die bestens ausbalancierten CBSO-Bläsergruppen übertrafen noch einmal die Klasse, die sie schon im ersten Programmteil hatten hören lassen. Und für die unterlassene Zugabe entschuldigte sich MGT beim Publikum damit, dass nun bis in die Nacht noch weiterer Feinschliff an CD-Aufnahmen anstünde. Halbe Sachen? Überlässt sie anderen.

Weiteres Konzert mit dem City Of Birmingham Symphony Orchestra und Mirga Grazinyte-Tyla, Mi 9.10., 20.00, Elbphilharmonie, Großer Saal, eventuell Restkarten an der Abendkasse