Hamburg. Mirga Grazinyte-Tyla und das Birmingham Symphony Orchestra
Eine junge Frau betritt die Bühne, gut gelaunt und so beiläufig wie andere die U-Bahn. Das letzte Gemurmel, Geraschel und Zurechtgerücke im Auditorium ist noch nicht verklungen, da stellen Mirga Grazinyte-Tyla und das City of Birmingham Symphony Orchestra schon die ersten Akkorde in den Großen Saal der Elbphilharmonie. Klar voneinander abgesetzt und so knackig, dass man unwiderstehlich hineingezogen wird in die Ouvertüre zu Mozarts „Zauberflöte“. Es sausen die Achtel in den Streichern, die Akzente kommen so jäh aus dem Hinterhalt, wie sie wieder verschwinden. Mag die Musik auch zum Crescendo verführen, die junge Litauerin hält das Orchester im Piano und fährt die Spannung hoch, als drehte sie an einem Transformator. Und das Stück, das doch vermutlich jeder Zweite im Saal mitsummen kann, klingt wie gerade erst geschrieben.
Messiaen und Debussy nach der Pause: einfach zauberhaft
Grazinyte-Tyla erreicht diese Lebendigkeit und mühelose Präzision nicht durch rabiate vertikale Gesten, sondern durch Modellieren, durch Fingerspiel und Flexibilität des Handgelenks. Ihre Körpersprache wirkt, als hätte sie sich jene Weisheit aus der Erziehungsliteratur zu eigen gemacht, die da lautet: „Die Mitarbeit gewinnen.“ Überzeugen statt herrschen, könnte man auch sagen.
Auch das Orchestervorspiel zum Violinkonzert von Edward Elgar schwingt und atmet, wie es nur möglich ist, wenn alle fein aufeinander reagieren und nichts überhängt. Die Solistin Vilde Frang schmiegt sich kammermusikalisch hinein. Nie stellt sie heraus, was der Solopart an rasanten Läufen und anderen Gemeinheiten zu bieten hat, stattdessen leuchtet sie aus, was für Nuancen im Reich des pianissimo zu finden sind. Unerschöpflich viele, scheint es, jedenfalls wenn man Frangs Sensibilität und Subtilität hat und ihre phänomenal tragfähige Vuillaume-Geige.
Schade nur, dass Frang, wann immer sie mit dem Orchestertutti zusammenspielt, klingt wie hinter einem Gazevorhang – stets vernehmbar, aber trotzdem entfernt. Die Künstler haben ein Balanceproblem. Und das in der Elbphilharmonie, die doch alles Leise liebt. Vielleicht liegt es ja daran, dass das Publikum Frang ohne Zugabe ziehen lässt.
„Un sourire“ von Olivier Messiaen nach der Pause klingt wie ein Vermächtnis des Komponisten, in eine Nussschale gegossen. Der Minimalismus seiner pastellfarbenen Klangflächen, der jazzige Schwung des Xylofons und das Zwitschern der Vögel, alles da, präsent, leicht. Und ein zauberhaftes Hors d’oeuvre zu Debussys „La mer“. Wie die Musiker sich auf Entdeckungsreise in die Wellenbewegungen und raffiniert verwobenen Rhythmen begeben, das ist hochsuggestiv. Und so lebensklug, wie es diese Musik hinter ihrer sprühenden Klanglichkeit nahelegt.