Kiel. Im Kieler Schloss spielte der Russe im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals ein reines Beethoven-Programm.

Wenn ein so ausdrucksmächtiger Pianist wie Evgeny Kissin – vor kurzem in den „Kieler Nachrichten“ zitiert – die Antwort auf die Frage nach dem Grund seiner Beethoven-Begeisterung mit „Ich weiß es nicht“ beginnt, ist das als Vorzeichen, oder eher als Omen für seinen am Ende umjubelten Beethoven-Abend im Kieler Schloss ziemlich zweideutig. Denn falls es so ist: Warum gleich drei der beliebtesten Klaviersonaten spielen, mit den „Eroica-Variationen“ als Noten-Jonglage dazwischen?

Auf diese Frage blieb Kissin – das allerdings auf brillant hohem Niveau – beim Auftritt im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals eine eindeutige, überzeugende Antwort schuldig. Diese Liebe ist offenbar noch ein work in progress, mitsamt Ecken und Kanten.

Evgeny Kissin ist entschiedener geworden, kantiger

In den vergangenen Jahren hat sich Kissin verwandelt, er ist nicht mehr der reine, perlende Alleskönner, die stupende Technik ist nicht mehr nur polierter Selbstzweck, der 47-Jährige ist entschiedener und kantiger geworden. Was die Sache nicht einfacher macht. Denn die stets anstrengende, aber nicht immer erfolgreiche Suche eines Interpreten nach den prägenden Charakterzügen der Stücke in seinem Programm wirkt bei Kissin nun wie ein Teil der Aufführung.

Außen vor bei dieser Versuchsanordnung blieben die „Eroica-Variationen“, in denen Beethoven mit dem Final-Thema seiner Dritten zaubert, es drehen, wenden und auch mal fröhlich krachen lässt. Kissin nahm das nicht immer so spielerisch-verspielt, wie es gedacht war. Die Konzentration wurde woanders gefordert. Zunächst also, in der „Pathétique“, ging es ihm wohl um die These, dass man diesen Beethoven-Hit dringend entzaubern und verhärten müsste. So wurde aus der langsamen Einleitung des Kopfsatzes keine Vorahnung der Romantik und es folgte ein unwirsches Drängen auf harsche Kontrastwirkungen. Das Adagio cantabile blieb dagegen straff und nüchtern und über große Strecken ungesungen, das Rondo galoppierte sehr zügig ins Ziel.

Beethovens "Sturm"-Sonate als Gegenentwurf

Dann, in der „Sturm“-Sonate“, als Anti-These und Gegen-Entwurf: Herzschmerz durfte nun sein, und das Besinnen auf Klangwirkungen und das Auskosten von atmosphärischen Verfeinerungen ebenso. Doch im abschließenden Allegretto übertrieb es Kissin ein wenig mit der Empathie; hier hätte eine ordnende, zielstrebige Aufklärung, wie sehr diese Musik bewegen kann, dem Gefühlshaushalt gut getan.

Und schließlich die Synthese beider Perspektiven in der noch weiter ausholenden „Waldstein“-Sonate, die am packendsten und schlüssigsten gelang. Dort hielt Kissin die Balance zwischen unterkühlter Strenge und überschwenglich ausgereizter Spielfreude, mit der dieser Pianist auch bewies, wie intensiv er nach einem Standpunkt sucht.

Am 13. Juli spielt Evgeny Kissin, begleitet von den Symphonikern Hamburg unter der Leitung von Sylvain Cambreling, das 1. Liszt-Klavierkonzert. 20 Uhr, Musik- und Kongresshalle Lübeck. Restkarten unter T. 0431 / 237070.