Hamburg. Deborah Neiningers Inszenierung am St. Pauli Theater bringt das vorwiegend weibliche Publikum zum begeisterten Juchzen.

Dürfen Schwangere eigentlich fliegen? Beim Mütter-Talk rät eine der Frauen ab: „Auf der Flugzeugtoilette kann der Unterdruck das Kind raussaugen.“ Auch sonst ist so eine Schwangerschaft mit vielen Verboten belegt. Kein Kaffee, keine Antidepressiva, kein harter Sex, Alkohol und Zigaretten erst recht nicht. Und vor allem kein Stress.

Im Kreißsaal gehen die Torturen weiter: Die Hebamme nervt mit bayrischem Akzent, der Ehemann ist auch keine Hilfe, weil ohnmächtig geworden. Doch dann ist das Kind endlich da. Erinnert ein wenig an den Außerirdischen E.T., aber es ist alles dran: Finger, Zehen, Schniedel. Geschafft! Endlich Mutter. Folgt jetzt das große Glück?

"Traumfrau Mutter": Premiere mit Gejohle und Gelächter

Wenn man den fünf Frauen auf der Bühne des St. Pauli Theaters zuhört, fängt der Horror erst an. Stillprobleme, Spielplatz-Stress, Schlafdefizite und immer Angst, etwas falsch zu machen. Das Leben einer Traumfrau sieht anders aus. Doch bei der Premiere von „Traumfrau Mutter“ wird im Publikum gelacht und gejohlt. Nicht etwa aus Schadenfreude - es ist der Wiedererkennungseffekt.

2003 feierte die Satire auf das Muttersein Deutschland-Premiere, die Schweizer Regisseurin Deborah Neininger inszenierte es mit riesigem Erfolg in Zürich auf Schwyzerdütsch, jetzt hat sie es in einer hochdeutschen Fassung auf die Bühne des St. Pauli Theaters gebracht. Die quirlige Rahel Fischer in der Rolle der Linda ist mit Neininger aus der Schweiz nach Hamburg gekommen, die vier anderen Schauspielerinnen hat die Regisseurin in Hamburg gecastet und dabei ein sehr gutes Händchen bewiesen. Fischer, Lisa Rauen, Dörthe Thiel, Julia Holmes und Bodil Strutz bilden ein erstklassiges Ensemble, das mit hohem Tempo, exaktem Timing und schnoddrigem Mundwerk den Alltag zwischen „Windeln, wenig Sex und anderen Katastrophen“ (so der Untertitel der Komödie) drastisch vor Augen führt.

Mütter? "Menschen mit Menstruationshintergrund"

„Traumfrau Mutter“ geizt nicht gerade mit Klischees. Doch die Vorführung von hysterischen Helikopter-Müttern mit Hang zu Esoterik und asiatischen Körnermahlzeiten ist in ihrer Übertreibung einfach komisch. Wer sich häufiger auf Kinderspielplätzen etwa in Ottensen und Eppendorf aufhält, weiß, dass diese Klischees ziemlich dicht an der Realität liegen.

Immer wieder versuchen die Bühnen-Mütter dem Alltag zu entfliehen, doch die Zeit der Partys ist vorbei. Da hilft auch die App für „Mütter, die rauchen und saufen“ nicht weiter. Groß ist die Sehnsucht, mal wieder ein Buch zu lesen, ins Kino zu gehen oder einfach nur ein paar Stunden allein zu sein. Doch dann kommt die nächste Kinderfrage, die mit dem Wort „Mama“ beginnt. „Menschen mit Menstruationshintergrund“, wie im Text überspitzt formuliert, haben einfach keine freie Minute für sich.

Natürlich bekommen auch die Ehegatten ihr Fett weg

Die Ehegatten bekommen in diesen turbulenten Szenen natürlich auch ihr Fett weg. Sie glänzen (fast immer) durch Abwesenheit, fragen gerade noch „Schatz, wie war dein Tag?“, wenn sie nach Hause kommen, um im nächsten Moment schon wieder von ihrem wahnsinnig anstrengenden Job zu erzählen. Da ist es kein Wunder, dass Barbara (Julia Holmes) auf dem Spielplatz von dem charmanten, breitschultrigen Paolo träumt, der nicht nur ihren Sohn von einem Klettergerüst rettet, sondern ihr auch noch den Rücken massiert.

Sex kommt in dieser Lebensphase nicht oft vor – und wenn, dann zur Unzeit. Kostümbildnerin Jennifer Gadient hat ein überdimensionales Pimmelkostüm kreiert, in das eine der Schauspielerinnen schlüpft. Das Publikum, zu etwa 95 Prozent weiblich mit einer Altersspanne von ca. 20 bis 70 Jahren, jauchzt angesichts der komischen Szene vor Vergnügen und hat überhaupt eine Menge Spaß. Immer wieder gibt es erkennendes Mitlachen, beim Song „Wir sind die wütenden Mütter“ erhebt sich fast der ganze Saal und skandiert und klatscht mit.

Hochaktuell und umwerfend komisch

Deborah Neiningers Inszenierung von „Traumfrau Mutter“ ist hochaktuell und umwerfend komisch. Ihre fünf Mütter jammern nicht, sondern gehen vor allem selbstironisch mit sich und ihrer Familiensituation um. Sie meistern ihren Alltag, auch wenn sie mal in ein emotionales Loch fallen. Sie stehen immer wieder auf, weil sie wahre Alltags-Heldinnen sind. Am Ende des zweieinhalbstündigen Spektakels steht ein selbstbewusster Satz, der auf jede der fünf Frauen des Stücks zutrifft: „...weil ich eine Traumfrau bin.“

Das sieht das Publikum offensichtlich genauso, applaudiert begeistert und klatscht die fünf Schauspielerinnen immer wieder auf die Bühne zurück.

Besucherstimmen

Kerstin Manthey, Tornesch: „Das Stück ist sehr unterhaltsam und wie aus dem Leben gegriffen. Ich habe mich bestens amüsiert. Es spiegelt sehr genau Frau- und Muttersein wider.“ 

Lea Karwoth, Bahrenfeld: „Ich fand den Abend mitreißend, sehr lustig und das Stück sehr wichtig, weil es ein Thema in den Mittelpunkt stellt, das nicht so oft im Theater verhandelt wird.“

Katrin Schumann, Rotherbaum: „Mega! Super authentisch! Man hatte das Gefühl, die Mädels auf der Bühne kommen gerade von zu Hause. Ich würde am liebsten sofort wieder reingehen.“