Hamburg. Dem Belcea Quartet gelang es im Kleinen Saal, jeden Takt zum Erlebnis zu machen. Erschöpfend, aber auf beglückende Weise.
Was für ein Gegensatz. Einerseits Werke von Joseph Haydn, dem Erfinder des Streichquartetts und Meister der geistreichen Konversation. Und als Kontrastmittel dazu Musik von Leos Janacek, die viel wildere Töne anschlägt und den Rahmen der Gattung mit ihren emotionalen Eruptionen sprengt. Das las sich schon vorab wie ein mindestens spannendes Programm und wurde dann im Kleinen Saal der Elbphilharmonie weit mehr. Weil das Belcea Quartet mit einer Intensität gestaltet, die alle Ebenen durchdringt und jeden Takt zum Ereignis macht.
Haydns Quartette streichen die Belceas mit schlankem, delikatem Klang und wenig Vibrato. Themen werden eingeführt, weitergereicht und kunstvoll auf den Kopf gestellt, Pointen perfekt getimt. Wie im Menuett aus dem Quartett op. 76,2, in dessen Mittelteil der Komponist plötzlich mit einem Ausbruch von volksmusikantischer Derbheit überrascht. Ein Gruß von den Tanzkapellen aus seiner niederösterreichischen Heimat, vom Belcea Quartet saftig in die Saiten gebürstet. Doch auch in solchen Momenten wahrt das Ensemble bei Haydn die Contenance und bewegt sich noch innerhalb der Grenzen des klassischen Geschmacks.
Die werden von Janacek pulverisiert. Mit einer Klangsprache, die ans Eingemachte geht. In seinem ersten Quartett durchlebt der tschechische Komponist das tödliche Eifersuchtsdrama aus Tolstois „Kreutzersonate“, das zweite ist von einer brennenden Leidenschaft für seine junge Geliebte entflammt.
Großer, lauter Jubel für das Belcea Quartet
Aber das braucht man gar nicht zu wissen, weil die Hitze auch so zu spüren ist. Das Belcea Quartet spielt mit emotionalem Hochdruck, der die kurzen Motive von Janacek hervorzuschleudern scheint und in atemlose Steigerungen treibt. Highspeed, Vollbremsung und wieder Vollgas auf dem Ausdrucks- und Tempopedal. Bögen zittern, wie unter Starkstrom gesetzt. Collagenhaft prallen Extreme aufeinander. Eine sanft wiegende Melodie mündet in einen Aufschrei. Ein sehnsüchtiges Duett von Cello und Geige wird von beißenden, ganz nahe am Steg geschruppten Sounds zerfetzt. Das Gift der Eifersucht frisst sich ins Gedärm. Doch die Musik hetzt weiter, bis zum Ende, in der Suche nach Erfüllung.
Großer, lauter Jubel, nach einem aufwühlenden, auf beglückende Weise auch erschöpfenden Abend. Eigentlich ist alles gesagt. Aber dann setzen sich die vier doch noch mal hin und streichen den langsamen Satz aus Beethovens letztem Quartett als Zugabe. So innig, so zärtlich und so herzenswarm, dass man sich für den Moment ganz sicher ist: Schönere Musik kann’s nicht geben, nie und nirgends, zumindest nicht auf dieser Welt.