Hamburg. Aber das Festival lebt nicht nur von der Musik. Die Atmosphäre ist entspannt – auch wenn alle unbedingt in die Elbphilharmonie wollen.
„Die Zeit rast, wenn man Spaß hat“, ruft J. P. Bimeni von der Bühne Am Helgen herunter und das muss wohl der Grund sein, warum der Auftritt des aus Burundi stammenden Sängers mit der wunderbar warmen Soulstimme sich plötzlich schon dem Ende zuneigt. Hat das dichtgedrängte Publikum nicht gerade erst begonnen, zu singen, zu klatschen und ekstatisch zu tanzen? Ein Phänomen, das sich beim Elbjazz 2019 vor allem an der kleineren der beiden Open-air-Bühnen immer wieder beobachten lässt. Auch bei Jungle By Night aus den Niederlanden. Kaum ein Besucher dürfte die neunköpige Formation vor dem Elbjazzz-Festival gekannt haben, doch wer sie am Sonnabend erlebt, bekommt das glückselige Grinsen gar nicht mehr aus dem Gesicht.
Was für eine Jazzfunk-Power! Was für eine Spielfreude! Die enthusiastisch gefeierten Musiker strahlen über beide Backen, als sie sich nach einer Stunde Arm in Arm verbeugen. Und neu gewonnene Fans stürmen sofort zum Merchandise-Stand, um sich ein Album der Band zu sichern. Ebenfalls eine Überraschung: die vor 51 Jahren gegründete Bluesrock-Truppe The Savage Rose um Sängerin Annisette. Dass diese Frau, eine Naturgewalt mit heiserer Vulkanstimme, 70 Jahre alt ist: unfassbar!
Erstklassigen, ziemlich unverfälschten Jazz gibt es en masse
Im Vorfeld des Festivals gab es durchaus Kenner, die eher zweifelnd auf das Programm geblickt hatten. Die etwa echte Jazzlegenden vom Schlage eines Pharoah Sanders (zuletzt beim Überjazz-Festival zu erleben) oder Archie Shepp vermissten. Allein: Größen wie sie fehlen an diesen beiden Tagen in Hamburg nicht wirklich. Erstklassigen, ziemlich unverfälschten Jazz („Jazzjazz“, wie es ein Besucher nennt), gibt es auch so en masse. Etwa vom Michael Wollny Trio, das am Freitagabend sein 2018 unwetterbedingt ausgefallenes Konzert nachholt: ein explosiver Auftritt, der einmal mehr unterstreicht, dass dieser Pianist zum Besten zählt, was nicht nur die europäische Szene zu bieten hat.
Beeindruckend auch Julia Hülsmann, die gleich drei Konzerte gibt und in unterschiedlichen Konstellationen vom Duo bis zum Oktett ihre Bandbreite demonstriert. Wie immer eine sichere Bank: die NDR Bigband auf der Hauptbühne. Mit Trompeter Randy Brecker als Solist vermittelt sie den Eindruck, mühelos bis in die tiefe Nacht hinein spielen zu können, ohne sich je zu wiederholen. Da zeigt sich einmal mehr die musikalische Klasse dieser öffentlich-rechtlichen Institution. Auch stark: der etwa 45-minütige Auftritt der frisch gekürten Hamburger Jazzpreis-Trägerin, Bassistin Lisa Wulff, der Posaunist Nils Landgren eine launige Laudatio hält.
Viele wollen auch das atemberaubende Hafen-Ambiente genießen
Aber natürlich lebt das Elbjazz nicht von der Musik allein. Dass an beiden Tagen jeweils 15.000 Besucher kommen, liegt auch an der entspannten Atmosphäre. Und für die ist die gut gelaunte Besatzung der Shuttle-Barkassen, die zwischen Elbphilharmonie und Blohm+Voss-Gelände pendeln ebenso wichtig, wie das freundliche Ordner-Team an der Schiffbauhalle, das einige Male einen kurzen Einlassstopp verhängen muss. Wer zum Elbjazz kommt, kennt oft einen Großteil der Auftretenden nicht, sondern will sich treiben lassen, mal hier, mal dort reinschnuppern, sich mit Freunden treffen, das immer wieder atemberaubende Hafen-Ambiente genießen.
Da kann es dann auch mal wichtiger sein, vom letzten Mallorca-Urlaub zu erzählen und die nächste Fuhre Grauburgunder (hier natürlich in echten Gläsern ausgeschenkt!) zu verteilen, als den Musikern zuzuhören.
Aber wer davon genervt ist, geht einfach ein paar Schritte weiter, Platz ist nämlich (fast) überall genug – auch eine Qualität dieses Festivals, bei dem das Wohlfühlerlebnis natürlich zusätzlich vom Wetter abhängt. Und das spielt in diesem Jahr mit. Sonne schon am Freitag, sommerliche Wärme am Sonnabend. Das zahlt sich nicht nur an der Tageskasse aus, sondern beeinflusst gewiss auch den Absatz der Early-Bird-Tickets für 2020, die bereits in den Verkauf gegangen sind. Wer gerade ein entspanntes Frühsommer-Festival erlebt hat, legt sich eben leichter für das nächste Jahr fest.
An den relativ langen Wegen lässt sich nichts ändern
Das Verbesserungspotenzial beim Elbjazz ist nach der inzwischen neunten Auflage jedenfalls übersichtlich. Am Programm kann immer noch ein wenig geschraubt werden, in diesem Jahr passte Sophie Hunger mit ihren rockpopigen Singer/Songwriter-Nummern nicht so recht. Aber sonst? An den relativ langen Wegen zwischen dem Blohm+Voss-Areal und den anderen Spielstätten, darunter die Hauptkirche St. Katharinen und die MS „Stubnitz“, lässt sich nichts ändern.
Wer etwa am Sonnabend um 20 Uhr das Benny Golson Quartet in der Elbphilharmonie sieht, muss für die Shuttle-Tour vom und zurück zum Hauptgelände jeweils eine gute halbe Stunde einplanen. Doch für viele ist ein Besuch im Großen Saal eben ein unverzichtbarer Festival-Bestandteil. Und das wird noch eine Weile so bleiben.
Als in der Nacht auf Sonntag mit dem Auftritt der US-Funker Tower Of Power zwei lange Elbjazz-Tage enden, sind die jedenfalls wie im Fluge vergangen. J. P. Bimeni hat schon recht: Die Zeit rast, wenn man Spaß hat.