Hamburg. Das Orchester musizierte so spannend, dass man darüber den Solisten Antoine Tamestit fast vergaß. Aber wie gesagt: nur fast...

Der Dirigent gibt den Einsatz, aber der Solist fehlt noch? Für solche Überraschungen ist die Elbphilharmonie immer gut – und „Harold en Italie“ von Hector Berlioz erst recht. „Sinfonie in 4 Sätzen mit Viola solo“ heißt das Stück im Untertitel. Der Komponist hat wohl nicht von ungefähr davon abgesehen, es als Bratschenkonzert zu bezeichnen. Wir hören die Celli des Orchestre de Paris mit einem pulsierenden, in Halbtonschritten grübelnden Thema einsetzen, dann reichen sie es weiter an die hohen Streicher. Fagott und Horn erwidern mit einem Klagegesang, der sich mit der Streicherbewegung immer dichter verwebt.

Das musiziert das Orchester unter seinem Chefdirigenten Daniel Harding so spannend, dass man darüber den Solisten fast vergisst – und dann ist er doch da. Der Bratscher Antoine Tamestit betritt die Bühne von der Seite in einem Zwiegesang mit der Harfe. Zärtlicher, inniger könnte die Musik kaum sein. Mit der auftrumpfenden Eröffnungsgeste eines herkömmlichen Solokonzerts hat sie nichts gemein. Tamestit wandert in Lauf des Stücks um das Orchester herum. Die Freude über jede einzelne Interaktion spiegelt sich auf seinem Gesicht, ob er gerade selbst spielt oder zuhört. Sie teilt sich jedem im Saal mit. Die Menschen lassen sich verzaubern von den Bildern und Klangfarben, in denen Berlioz Harolds Seelenreise schildert.

Es war eine kluge Idee, für das Elbphilharmonie-Debüt des Orchesters von der traditionellen Reihenfolge abzuweichen und die Sinfonie dem Solokonzert voranzustellen. Beethovens „Pastorale“ wirkt im Vergleich zu „Harold“ klassischer, leichter. Von der ersten Arabeske der Geigen an machen die Künstler deutlich, was für einen Beethoven-Stil sie pflegen. Mit uneitlen, behutsamen Gesten formt Harding einen milden, geraden Klang, jedem Detail widmet er sich und spannt die Hörer zugleich diskret auf die Folter, indem er sich die Höhepunkte immer noch weiter aufspart. Phrasierungen und Dynamik stuft er hauchfein ab. Die Holzbläser nehmen sich für das Vogelzwitschern im langsamen Satz eine Freiheit des Zeitmaßes, die für ein Naturphänomen nur angemessen ist und zugleich französischen Geist atmet. Und am Schluss öffnet Harding die „dankbaren Gefühle nach dem Sturm“ gen Himmel. Schon vorbei? Man möchte einfach nur dableiben und weiter staunen.