Hamburg. Alexander Riemenschneider hat mit seiner Schauspielhaus-Inszenierung den Erfolgsroman „Extrem laut & unglaublich nah“ geweitet.
Ein weißer Raum, leer bis auf ein paar Stühle. Mit blauer Farbe werfen fünf identisch kostümierte Schauspielerinnen und Schauspieler Buchstaben an die Wände. Dann, schwups, sind sie auf einmal weg. Und auch die Zeichen verblassen gänzlich. Ein grauhaariger Mann bleibt zurück. Eine gute halbe Stunde braucht Sebastian Dominik, um in seinem Monolog zu erklären, wie er von New York aus seine schwangere Freundin Richtung Dresdener Heimat verließ, die Zerstörung des Zweiten Weltkrieges erlebte und endlose Briefe an den fernen, nie gesehenen Sohn verfasste.
Das ist schon mal ein durchaus fordernder Beginn für die Konzentration der jüngeren Zuschauer im Jungen Schauspielhaus. Aber sie bleiben dran bei der Romanadaption von Jonathan Safran Foers Bestseller „Extrem laut & unglaublich nah“. Regisseur Alexander Riemenschneider wagt einiges in der letzten Premiere der Saison am Jungen Schauspielhaus und das mit Gewinn.
Den stellenweise ausufernden, mit Perspektiven, Zeitebenen und Erzählweisen herausfordernd spielenden Roman hat er einerseits klug eingedampft, andererseits geweitet. Denn die Geschichte, die auf den Monolog folgt, ist jene des 9-jährigen Enkels Oskar. Oskars Vater wird Opfer des 9/11-Anschlages auf das World Trade Center. Nicht ohne zuvor diverse Telefonanrufe an die Familie zu senden, die Oskar aus einer Angst heraus nicht annimmt. Er zeigt ein Zwangsverhalten, verbunden mit Schwierigkeiten im sozialen Miteinander, die man landläufig als Asperger-Syndrom kennt.
Fünf Oskar-Darsteller – aber keine Verwirrung
Hier, in diesem von David Hohmann gezimmerten weißen Gedankenraum, ist Oskar ein Junge ohne Diagnose. Gleichsam wie Projektionen in Oskars fantasiebegabtem Kopf agieren gleich fünf Oskar-Darsteller. Hermann Book, Gabriel Kähler, Christine Ochsenhofer, Katherina Sattler und Sophia Vogel wechseln einander in blau-grünen Uniformen samt Pilzkopf-Frisur (Kostüme: Lili Wanner) ab, ohne dass das je Verwirrung stiften würde. Im Wechsel übernehmen sie auch die Rolle der Mutter und diverser Menschen in der Nachbarschaft, denn Oskar findet unter den Dingen im Nachlass seines Vaters ein Kuvert mit einem Schlüssel und der Aufschrift „Black“ in einer Vase.
Für den obsessiven Zahlenfan Anlass, alle 472 Menschen mit diesem Namen aufzusuchen und das letzte Geheimnis des geliebten Vaters zu lüften – wenn es denn eines gibt. Riemenschneider erzählt in „Extrem laut und unglaublich nah“ in kunstvoller Abstraktion, aber nie ohne Seele von den verwirrenden Gefühlen eines trauernden Kindes. Von der Liebe einer Mutter. Und von einem Großvater, der sich – aus Angst vor Verlust – der Liebe verweigert.
„Du hast ganz schön viele Ängste“, sagt Abbie Black auch zu Oskar. Dieser Abend zeigt auf berührende Weise, welches Leid auch die Angst vor Gefühlen nach sich ziehen kann.
„Extrem laut und unglaublich nah“ für Menschen ab 13 Jahren, weitere Vorstellungen 15. bis 17.4., jew. 19.00, 16./17.5., jew. 19.00, 24.5., 10.30 u. 19.00, 13. bis 15.6., 19.00, Junges Schauspielhaus, Große Probebühne, Kirchenallee 29, Karten unter T. 24 87 13; www.schauspielhaus.de