Hamburg. Schauspielerin Sophie Rois spricht über ihren neuen Film „A E I O U“ und den „sportlichen Ehrgeiz des Softpornodarstellers“.

Eigentlich, stöhnt Sophie Rois, gehört Sex ja nicht zu ihrem täglich Brot. Aber gerade muss sie immer wieder davon sprechen. Denn am 16. Juni kommt „A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe“ ins Kino. Ein Film, der schon auf der Berlinale für Aufsehen sorgte, eine unmögliche Liebesgeschichte über eine 61-Jährige mit einem fast noch minderjährigen Jungen. Ein Gespräch über Freizügigkeit und Schamhaftigkeit – in dem die Schauspielerin obendrein überraschend verkündet, dass sie zur Volksbühne zurückkehrt.

Der Film „A E I O U“, haben Sie auf der Berlinale verraten, sei eine Genugtuung für Sie ...

Sophie Rois: Ja. Weil ich darin einem jungen Mann Sprecherziehung gebe und ich mich damit endlich für eine alte Demütigung rächen konnte. Als ich in Wien am Max Reinhardt Seminar begann, meinte der Dozent für Sprecherziehung zu mir, ich gehöre nicht auf eine Bühne, sondern ins Krankenhaus. Das war am ersten Unterrichtstag! Danach war Sprechunterricht und Stimmerziehung für mich immer mit Panik verbunden. Und jetzt trete ich als Koryphäe in diesem Fach auf, ha!

Interview über Erotik in deutschen Filmen

„A E I O U“ ist ein Liebesfilm mit einem sehr ungleichen Paar. Alter Mann, junge Frau, das scheint ja normal. Andersrum ist das immer noch Thema, ist das immer noch gesellschaftlich nicht ganz akzeptiert.

Rois: Das gibt’s doch im echten Leben viel öfter als im Kino. Aber ich kämpfe mit diesem Film nicht für gesellschaftliche Akzeptanz. Wir haben hier zwei Außenseiter, die sich ohnehin nicht mit den herrschenden Verhältnissen identifizieren. Die passen ja gar nicht zusammen, die Kluft zwischen ihnen, nicht nur die an Jahrzehnten, ist riesig. Das ist eben kein passgenaues Paar, die haben sich nicht auf Tinder gefunden: Suche katzenliebenden Nichtraucher.

Sie gingen schon in Tom Tykwers Film „Drei“ beziehungstechnisch unkonventionelle Wege, jetzt auch in „A E I O U“ von Nicolette Krebitz. Sind Sie die Frau fürs weibliche Ausloten von Erotik im deutschen Film?

Rois: Wow, wird das unsere Schlagzeile? (lacht) Ich kann gar nicht antworten, ich bin platt. Und für Schmeicheleien sehr empfänglich. Aber Sie sind mir hoffentlich nicht bös, wenn ich mich darin nicht ganz wiederfinde. Seit „Drei“ sind ja schon mehr als zehn Jahre vergangen, und ich habe in der Zwischenzeit durchaus auch anderes gemacht. Sexszenen sind nicht mein täglich Brot ...

Aber Sie haben keine Berührungsängste?

Rois: Wie bitte?! Und ob ich die habe. Aber das Thema ist meistens nicht: Wie sind denn so die Sexszenen im Skript? Sondern: Welches Welt- und Menschenbild wird denn da hergestellt und rausgeblasen? Mit welchem Humor, in welcher Ästhetik? Und bei den meisten Angeboten denke ich, dafür bin ich die Falsche, das sollte lieber jemand anderes spielen.

Ich fühle mich kaum einmal wirklich zuständig. Und wenn mir jemand „was auf den Leib“ geschrieben hat, dann klappt es schon gar nicht. In „A E I O U“ aber hat Coco Krebitz diese Anna mit einer Arroganz gegenüber den Zumutungen der Realität ausgestattet, die meinem Humor extrem entgegenkommt. Narzisstisch, aber großzügig, vom Leben geschlagen, aber nicht gebrochen und mit einer großen inneren Freiheit. Ich mochte das Buch sofort.

Mal schamhafte Katholikin, mal Softpornodarstellerin

Und wie war das dann mit den Sexszenen? Da waren Sie ungeniert?

Rois: Ungeniert? Ich bin alles andere als ungeniert, ich bin ein schamhafter Katholik. Aber vor der Kamera, mit all den Leuten drumherum, kann ich manchmal so was wie den sportlichen Ehrgeiz des Softpornodarstellers entwickeln. Das fremde Drehbuch erlöst vom Skript des eigenen Lebens, man spielt eben. Und in dieser abgezirkelten Realität kenn’ ich mich aus. Da bin ich auch viel freier als im offenen Feld der Wirklichkeit. Das trifft auch durchaus auf andere Lebensbereiche zu, nicht nur auf Sex.

Eine große, vielleicht auch anmaßende Frage, aber in dem Zusammenhang muss sie gestellt werden: Was ist Liebe für Sie?

Rois: Ach herrje. Das ist eine schwierige Frage. Ein verstorbener Freund von mir hat einmal geschrieben: „Vielleicht ist es das Wesen der Liebe, dass sie unheilbar ist.“ In Zeiten wie diesen, wo man glaubt, dass man alles wegtherapieren kann, ist das keine populäre Haltung. Einerseits soll die Liebe das Größte sein; wenn sich einer aber aus Liebe umbringt, ist das nicht akzeptabel. Das gilt dann als verrückt, eben nicht oft genug zur Therapie gegangen. Aber wenn man wirklich liebt, dann merkt man das schon, es geht einfach nicht weg.

Gibt es einen Liebesfilm, den Sie besonders lieben?

Rois: Ja, unseren. Auch wenn ich den auf der Berlinale noch gar nicht so genießen konnte. Da fehlte mir der Abstand. Ich kann mich auf der großen Leinwand nicht ertragen. Ich denk’ dann immer: Was macht die denn da? Das legt sich erst nach einer Weile. Wenn ich vergessen habe, was ich mir beim Drehen vorgenommen habe.

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Sie spielen eine Schauspielerin in der Krise, die in einem gewissem Alter keine attraktiven Rollen mehr angeboten bekommt. Waren Sie schon mal in so einem Tief? Oder leiden nur Filmschauspieler unter solchen Löchern, und Theater bewahrt einen davor?

Rois: Ich weiß nicht, wie ich das jetzt gescheit in Worte fasse. Ich bin doch ein rechter Glückspilz. Ich hatte nie so einen Plan: Ich will jetzt an dieses Theater. Oder mit jenem Regisseur arbeiten. Es schien mir nie attraktiv, mich an jemandes Erfolg zu hängen. Aber ich kam früh an die Volksbühne. Und mit Schlingensief und Pollesch stieß ich da auf Leute, die ja selber am Ausprobieren und Werden waren.

Gerade bei Schlingensief war das am Anfang ein Spielen gegen jede Chance, nicht das Karriereversprechen, sondern die fröhlich depressive Aussichtslosigkeit war der Ausgangspunkt des Handelns. Ich fand da Produktionsbedingungen, die ein Traum waren, die ich mir gar nicht hätte ausdenken können. Die besondere künstlerische Intelligenz von Frank Castorf, seine gedankliche Schärfe, dazu sein Sinn fürs Populäre. Zusammen Theater zu machen, hatte über jeden Fehlschlag oder Misserfolg hinaus Bedeutung.

Deshalb hatte ich auch nie das Bedürfnis, das Theater zu wechseln. Ich kann also schlecht über Schauspielerkarrieren im Allgemeinen sprechen. Und als Erfolgsmodell kann ich schon gar nicht herhalten.

Die schönste Szene in „A E I O U“ ist die, wo zwei alte Männer über die von Ihnen gespielte Anna herziehen und die ihnen dann den Kopf wäscht. Haben Sie sich da was von der Seele gespielt? Die #MeToo-Debatte wird ja gerade auch an den Theatern heftig geführt.

Rois: So eine Szene zu spielen ist sehr belustigend, sich zu beklagen ist es nicht. Die weibliche Klage liegt mir fern, damit manövriert man sich nur wieder in die Frauenecke. Mir ist aber, im Gegensatz zu anderen Frauen, nie was wirklich Schlimmes passiert. Über #MeToo-Vorkommnisse am Theater kann ich Ihnen nichts erzählen. Man kann aber, wenn man’s kann, auf der Bühne andere Verhältnisse installieren.

Wenn bei Pollesch 15 Frauen auf der Bühne stehen, und es ist kein Frauenstück, es geht nicht um „Frauenprobleme“, und es gibt keine weibliche Klage, sondern Welt wird verhandelt, dann ist das so ein Vorgang. Ich habe bei Castorf auch männliche Rollen gespielt, in klassischen Stoffen, da merkst du, das sind die stärkeren Texte. Frauen schlagen sich immer mit dem Verhältnis zum Hauptdarsteller herum. Aber das ist ja das Tolle am Theater und im Film: Man kann das alles auf den Kopf stellen.