Hamburg. Die zwei Schauspieler stellten ihre ersten Regiearbeiten vor, und das Filmfest Hamburg gab Einblick in unterschiedliche Lebenswelten.
Das bisher ungewöhnlichste Filmfest hat sein Startwochenende gut hinter sich gebracht. „Ich bin so froh, dass wir jetzt wieder hier sind“, sagte am Sonnabend eine Zuschauerin im Abaton und sprach damit so manchem aus dem Herzen. Die Veranstalter sind bisher zufrieden, die Säle sind gut ausgelastet. Und auch zahlreiche Filmemacher lassen es sich nicht nehmen, ihre Arbeiten selbst im Kino vorzustellen.
Gleich ein mehrfaches Heimspiel erlebte Moritz Bleibtreu. Der in Hamburg aufgewachsene Schauspieler, der schon häufig beim Filmfest zu Gast war, hatte sein Regiedebüt „Cortex“ mitgebracht. Der labyrinthische Psychothriller ist sehr spannend, verlangt den Zuschauern aber auch eine hohe Aufmerksamkeit ab.
„Es fühlt sich total gut an und ist toll, dass das Filmfest stattfindet“, erklärte er kurz vor der Premiere im Cinemaxx und bewertete die Ereignisse „mit einem lachenden und einem weinenden Auge“: „Das weinende hätte sich ein paar mehr Leute am roten Teppich gewünscht.“ Er sei aber froh, den Film in der Hansestadt zum ersten Mal zeigen zu können. „Der Film ist aus Hamburg heraus und in Hamburg gemacht. Wir freuen uns sehr, dass er hier seine Premiere hat.“
Bjarne Mädel machte ein Stau zu schaffen
Dass die Hansestadt der Schauplatz ist, sieht man „Cortex“, in dem es um Welten zwischen Traum und Realität geht, aber nicht an. In seinem nächsten Film, so Bleibtreu, solle das anders werden. Er möchte weiter als Schauspieler arbeiten, aber auch als Regisseur hat er nun Blut geleckt. Wer den Film verpasst hat: Am Freitag um 18 Uhr kann man ihn noch einmal im Zeise sehen.
Auch Bjarne Mädel machte sich Gedanken über den roten Teppich. Er stand schon mit vielen Darstellern dort – mit einem Hund noch nicht. Am Freitag sollte Vierbeiner Cord sein Glamour-Partner sein. Doch Cord, der in Mädels Regiedebüt „Sörensen hat Angst“ eine wichtige Rolle spielt, stand im Stau. Beim späteren Fototermin wirkten dann aber beide freundlich und entspannt.
„Gaza mon amour“ heißt der Film der Zwillinge Arab und Tarzan Nasser, eine französisch-deutsch-portugiesische Koproduktion, an der auch die Hamburger Riva Film beteiligt ist. Beide Filmemacher waren am Sonnabend mit frischen negativen Corona-Testergebnissen aus Paris eingereist, wo sie mittlerweile leben.
„Nowhere Special“: Stark gespielt, dicht geschrieben
In „Gaza mon amour“ erzählen sie von einem Fischer (Siam Dau), der sich auf seine alten Tage noch einmal in die Schneiderin Siham (Hiam Abbas) verliebt. Aufregung kommt auf, als er bei einer seiner illegalen Bootstouren plötzlich eine Apollo-Statue im Netz findet. Es sei ein Fluch für Filmemacher aus Gaza, dass man von ihnen immer Geschichten über die komplexe politische Situation in ihrer Heimat erwartet, erzählten die Nassers.
In diesem Film haben sie das elegant gelöst. Im Vordergrund steht die Liebesgeschichte, nur aus den manchmal im Hintergrund laufenden Nachrichten in Hörfunk und Fernsehen erschließt sich, dass nichts in Ordnung ist am Sinai. „Frieden und Liebe“, wünschen sich die Brüder für Gaza. „Inschallah!“ So Gott will.
Frisch vom Festival aus Venedig kam der Film „Nowhere Special“. Das Drama erzählt von John (James Norton), einem alleinerziehenden Fensterputzer in Belfast, der mit seinem vier Jahre alten Sohn Michael (ganz groß: Daniel Lamont) über die Runden zu kommen versucht. Dann erfährt John, dass er todkrank ist und macht sich auf die Suche nach einer Familie für sein Kind. Stark gespielt und dicht geschrieben, das Drehbuch stammt von Uberto Pasolini, der auch Regie geführt und produziert hat. Am Freitag um 19 Uhr ist „Nowhere Special“ noch einmal im Abaton zu sehen – Taschentücher nicht vergessen!
Filmfest Hamburg: Der ungewöhnlichste Film
Einen reichlich ungewöhnlichen Film brachte Victor Kossakovsky mit nach Hamburg. „Gunda“ ist ein Dokumentarfilm über ein norwegisches Schwein, eine Schar Hühner von denen eins einbeinig ist, und eine Herde Kühe, die ins Freie dürfen. Star ist Gunda, eine opulente Sau, die zunächst in ihrem artgerechten Stall vor sich hin döst, bevor sie von ihren zwölf Ferkeln regelrecht überfallen wird, die ihren großen Durst mit ihrer Hilfe stillen.
Danach kann auch sie nach draußen und ein bisschen mit der Schnauze im Erdreich wühlen. Der Film ist in schönen Schwarz-Weiß-Bildern aufgenommen, sehr ruhig, fast schon meditativ und hat keinerlei Dialog. Ab und zu hört man einen Kuckuck oder Insekten im Hintergrund.
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Kossakovsky kommt ursprünglich aus St. Petersburg und lebt inzwischen in Berlin. „Tiere haben eine Persönlichkeit“, ist er sich sicher und berichtete von einem einschneidenden Kindheitserlebnis. „Als ich vier Jahre alt war, verbrachte ich den Winter auf einem Dorf. Es war sehr kalt, die Bauern holten das erst einen Monat alte Ferkel ins Haus. Er hieß Wassja und wurde mein bester Freund. Zu Neujahr wurde er geschlachtet, das war für mich ein Schock. Seitdem bin ich Vegetarier.“
Sein Film ist ein stilles, stilvolles Plädoyer für die Würde der Tiere und konnte gerade große Erfolge beim New York Filmfestival feiern. Tierschützer und Schauspieler Joaquin Phoenix fungiert als Koproduzent.