Tine Wittlers kritische Auseinandersetzung mit althergebrachten Schönheitsidealen kommt am 26. September als Film ins Kino. Auch Tine Wittler hat als Jugendliche sehr oft versucht, abzunehmen.

Die Reise nach Mauretanien war anstrengend und gefährlich. Das Auswärtige Amt jedenfalls hatte etwas dagegen, dass Tine Wittler und ihr kleines Filmteam sich ausgerechnet in diesem streng-islamischen Staat, wo Entführungen an der Tagesordnung sind, wo neben der Scharia auch die „Zwangsmästung“ von Frauen existiert, auf die Spurensuche nach dem Geheimnis von Schönheitsidealen machten. Doch da steckten bereits eineinhalb Jahre Vorbereitung in diesem ernsthaften Projekt, dass die vermutlich bekannteste Einrichterin Deutschlands komplett aus eigener Tasche finanzieren musste. Und so entschloss sich die Journalistin dazu, alle Warnungen zu überhören, ins Land der Akazien nach Westafrika zu reisen und „die bisher größte Herausforderung meines Lebens“ anzunehmen.

Heute wissen wir, dass daraus längst ein Buch-Bestseller geworden ist. Und nun, am 26. September, kommt „Wer schön sein will muss reisen“, auch als Dokumentarfilm auf die Leinwand. „Wenn man dazulernen möchte ist es wichtig, die Perspektive zu verändern - den Blickwinkel - um zu begreifen, dass deine eigene kleine Welt nicht unbedingt der Nabel der Welt ist“, sagt Tine Wittler. Sie sitzt am Tresen ihrer Parallelwelt-Bar, nippt an einem Gin Tonic, zieht gelassen an einer Zigarette und wirkt gelassen. Wie ein Profi des TV-Geschäfts eben, aber in Wahrheit sei sie schon ziemlich aufgeregt, meint sie: Morgen habe ihr Film schließlich Vorpremiere im Zeise-Kino.

Sie selbst, sagt Tine Wittler, habe durch die Recherchen zu ihrem Buch und den Film gelernt, dass ein Schönheitsideal bloß ein absurdes Spektakel sei. „Obkjektive Schönheit gibt es nicht. Tatsache ist doch, dass auf dieser Welt völlig gegensätzliche Schönheitsideale existieren können - nur vier Flugstunden voneinander entfernt.“ In ihrem speziellem Fall handelt es sich dabei um das westeuropäische, sehr schmale und das mauretanische, sehr runde Ideal. „Wir in Westeuropa versuchen doch, uns in einer reichen Welt des Überflusses möglichst dünne zu machen. Wir versuchen also häufig, weniger zu essen. Aber dort in Mauretanien existiert eine Welt, in der die Menschen arm und Nahrungsmittel das wertvollste Gut sind. Wer sich dort satt essen kann, ist reich und gesegnet.“ Dort stehe die extrem runde Form für Wohlstand, für eine gute Herkunft, für Großzügigkeit und nicht zuletzt fürs glücklich und gesegnet sein.“

Sie hat die „Gavage“, die Zwangsmästung der Frauen, die sich allerdings nur die wenigsten Mauretanier leisten können, am eigenen Leib ausprobiert. „Nach sechs Litern fetter Kamelmilch konnte ich nicht mehr. Aber dann tut dir die Gaveuse weh, der Schmerz der gequetschten Zehen unterdrückt den Brechreiz, und du trinkst und futterst weiter.“ Die Gaveuse ist die Frau, die im Auftrag der Familien dafür sorgt, dass die mauretanischen Mädchen mehrere Wochen lang bis zu 10.000 Kalorien täglich zu sich nehmen müssen. Die Vereinten Nationen stufen die „Gavage“ deshalb auch als Folter ein.

Hierzulande gehe man dagegen soweit, Übergewicht vor allem als typisches Unterschichtenproblem zu definieren, sagt Tine Wittler. Damit kennt sich die vermutlich bekannteste Einrichterin Deutschlands aus. „Aber die Arbeit bei RTL basierte ja eher auf Zufällen“, sagt sie nachdenklich. Je mehr sie über ihr Filmprojekt erzählt, desto stärker ist ihr Glück zu spüren. Die Befriedigung darüber, vielleicht etwas Wertvolles geschaffen zu haben, das zum Nach- und Umdenken anregen könnte.

Auch Tine Wittler hat als Jugendliche sehr oft versucht, abzunehmen. Aber das sei vorbei: „Ich sehe keinen Grund mehr dafür, meinen Körper nicht lieben und annehmen zu können, wie er ist.“ Dass die „Schönheit stets im Auge des Betrachtes liegt“ oder wahre „Schönheit von innen kommt“, sind für Tine Wittler nur Floskeln, Allgemeinplätze. „Denn es gelingt uns ja nicht, danach zu leben.“ Das beträfe jedoch vor allem die Frauen, da an Frauenkörper andere Ansprüche gestellt würden. „Da gibt es doch diesen Spruch“, sagt sie, „’Männer haben einen Körper, Frauen sind ihr Körper.’“ Genau das sei das Problem: Frauen werden von klein auf an dazu angehalten, auf ihren Körper zu achten, und Frauen werden zumeist nur über ihr Aussehen definiert.“

Diese Erkenntnis, die Tine Wittler als schlagfertiges Argument gegen das Diktat des Schlankheitswahns ins Feld führt, wird offenbar immer besser verstanden. Und akzeptiert. Sie erklärt unter anderem den großen Erfolg ihres Buches. Ihre Lesungen sind häufig rappelvoll, wobei die längst nicht nur von Frauen besucht werden. „Ich erlebe es inzwischen immer häufiger, dass Männer nach der Lesung zu mir kommen und sich dafür bedanken, wie ich dieses Thema anpacke. Dann erzählen sie mir, dass ihre Frauen andauernd mit sich selber hadern würden, was sie einfach nicht verstehen könnten: weil sie ihre Frauen genau so lieben würden, wie sie sind.“ Und so gehe es bei der Figurfrage letztlich ums Miteinander der Geschlechter, um Liebe und um Sexualität, meint Tine Wittler und zitiert eine Studie die besagt, dass zwei Drittel aller Frauen sich schämten, wenn sie sich auszögen. „Weil sie sich zu dick finden“, sagt sie, wobei sie inzwischen davon überzeugt ist, dass Männer das Ganze viel entspannter sehen würden. „In Wahrheit ist es doch so, dass wir Frauen uns wegen unseres Aussehens ständig unter Druck setzen.“