Heftige Dialoge in Tarantinos neuem Film sorgen für Schnappatmung bei Moralisten. Ein paar Gedanken zur Political Correctness.
Hamburg. In den 90er-Jahren saßen wir nachmittags in geisteswissenschaftlichen Seminaren und setzten unsere Unterschrift auf die "TeilnehmerInnenliste". Abend schauten wir die Late-Night-Show und lachten über Harald Schmidts Polenwitze. Ersteres ist politisch korrekt, Letzteres gerade nicht. Die politische Korrektheit, die zum Beispiel durch das Binnen-I den weiblichen Anteil der Bevölkerung sprachlich würdigt, kam vor 20 Jahren mit den berühmten "Gänsefüßchen" über uns, mit denen Wörter in Quarantäne gestellt wurden.
Wenn über Mark Twain und die Afroamerikaner in seinen Büchern gesprochen wurde, waren das politisch korrekt fortan "Neger". Besser war es aber auch schon vorher, den rassistischen Begriff durch unschuldigere Wörter ("Schwarze", "Farbige") zu ersetzen. Importiert wurde die "Political Correctness" aus Amerika, wo das Thema "PC" unlängst wieder anlässlich des Starts des neuen Tarantino-Films "Django Unchained" auf die Agenda von engagierten Tugendwächtern, renitenten Streithanseln und allen dazwischen kam: In dem blutigen Südstaaten-Western, der zur Zeit der Sklaverei spielt, geht es auch verbal grob zu Werke, das Wort "Nigger" fällt im Minutentakt. Wiederholungstäter Tarantino (in "Jackie Brown" kam dieselbe politisch natürlich höchst unkorrekte Äußerung 38-mal vor) schlug von Bürgerrechtlern und Künstlern wie dem afroamerikanischen Filmemacher Spike Lee herbe Kritik entgegen - auch im Hinblick auf die Tatsache, dass die Filmsklaven als Action-Figuren vertrieben werden.
Was wieder einmal bestätigt, dass der Bereich der Political Correctness ein Schlachtfeld ist. Auf ihm formieren sich zunächst einmal all diejenigen, die in einer "Kultur der Empörung" agieren, wie der Kunsthistoriker Robert Hughes behauptet. Wer sich empört, fühlt sich zurückgesetzt und fordert eigene Interessen ein, die sich von denen der Mehrheit oft unterscheiden. Wer den Mainstream angreift, erhebt den Anspruch auf Anerkennung der eigenen Minderheit. Das hehre Ziel der Feministinnen, der Gay-Pride -Verfechter und der sich für die Rechte von Ausländern oder Kranken einsetzenden PC-Parteigänger ist die Würde jedes einzelnen Menschen - und die Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse.
Worte sind Taten, und die Sprache beeinflusst Handlungen, weshalb sich Anti-Diskriminierer und Toleranzler mit Vorliebe um den Sprachgebrauch in der Öffentlichkeit und in Behörden kümmern. Aktuell etwa kämpfen geschlechtlich nicht Festgelegte (sozial und/oder biologisch) um Beachtung, was jedes Behördenformular vor unlösbare Aufgaben stellt. "Mann"? "Frau"?
"Um die Wörter herumkrabbelnde Gänsefüßchen zeigen an, wo es die Gesellschaft juckt", schreiben Matthias Dusini und Thomas Edlinger in ihrer lesenswerten Studie "In Anführungszeichen. Glanz und Elend der Political Correctness" (Suhrkamp Verlag). Der "Neger" ist schon lange Vergangenheit, das gegenwärtige Aufflackern der Diskussion ein Spezialfall.
Die politische Korrektheit ist eine durch und durch pädagogische Angelegenheit. Hierzulande wird dies aktuell in der Diskussion um bereinigte und zu bereinigende Kinderbuchklassiker deutlich. Der Hamburger Oetinger Verlag strich den "Negerkönig" und den "Zigeuner" aus "Pippi Langstrumpf", der Thienemann Verlag löscht diskriminierende Begriffe aus den Büchern von Otfried Preußler, und Familienministerin Schröder will ihrer Meinung nach sexistische Märchen der Brüder Grimm der Tochter vorenthalten. Bislang dachte man, dass eine die gemeinsame Lektüre begleitende Diskussion über das anachronistische Vokabular (warum sagte man früher "Neger" und sagt es heute lieber nicht mehr?) der Sache doch am meisten diente.
Eine Lektion spezieller Art im Unterrichtsfach "Sprachliche Besinnung" erteilte kürzlich der Schauspieler Samuel L. Jackson einem amerikanischen Filmkritiker. Anlässlich von "Django Unchained" ging es um das N-Wort, das der weiße Fragensteller trotz mehrmaliger Aufforderung durch den schwarzen Starschauspieler nicht aussprechen wollte. Es kam ihm buchstäblich nicht über die Lippen. (Hamilton: "Es gab eine Kontroverse um den Gebrauch des N-Wortes in diesem Film und ..." Jackson: "Nein? Niemand? Nichts? Welches Wort?" Hamilton: "Oh, das will ich nicht sagen." Jackson: "Warum nicht?" Hamilton: "Ich möchte das nicht sagen." Jackson: "Haben Sie es jemals gesagt?" Hamilton: "Nein." Jackson: "Versuchen Sie es." Hamilton: "Ich möchte das nicht sagen." Jackson: "Versuchen Sie es!" Hamilton: "Ist das Ihr Ernst?") Ein aufgeklärter Weißer sagt so etwas nicht, während ein schwarzer Hip-Hopper das Wort, das doch der Welt des Rassisten entstammt, in seiner Posse verwendet, um sein Gegenüber zu adeln.
Tugendterror, die Herrschaft der Benimm-Päpste, das Opfersein als gesellschaftliche Währung, die Lahmlegung von sprachlichen Routinen durch das Betroffenheitsvirus, "das wird man wohl noch sagen dürfen" - PC-Gegner machen beinah schon so lange gegen die Regeln mobil, was gesagt werden darf und was nicht, wie es die Political Correctness gibt. Die politische Korrektheit hat einen Genuss an der Inkorrektheit hervorgebracht und auch dazu beigetragen, dass die Ironie zu einem dominanten kulturellen Code wurde.
PC-Gegner verschaffen sich durch Grenzüberschreitungen Erleichterung. Nicht immer diskriminieren oder provozieren sie andere, nicht immer würdigen sie herab. Korrekt ist ja nicht nur eine Einstellung, gemäß derer man sich Minderheiten oder Opfern gegenüber richtig verhält, korrekt ist auch, nicht zu rauchen. Alles, was der Gesundheit schadet, ist heute nicht mehr PC - dabei schaden Raucher doch besonders sich selbst. Und sie fühlen sich selbst diskriminiert.
Wer politisch korrekt argumentiert, will moralisch im Recht sein. Der "Kommunismus der Achtung" (Dusini/Edlinger) ist aber im Zweifel und aller nervigen Gutmenschelei zum Trotz immer noch ein Mittel der Aufklärung. Ob im Hinblick auf Tarantino-Western oder bereinigte Kinderbücher: Ist doch immer gut, dass wir mal wieder darüber gesprochen haben, dass ein hoher Grad an Sprachbewusstsein nichts Schlechtes ist. Minderheiten verdienen Schutz, diese Erkenntnis sollte gerade in einem Land, in dem sich die Machtergreifung Hitlers demnächst zum 80. Mal jährt, ein Selbstgänger sein.