Hamburg. Büchner-Sätze für die Ewigkeit: Regisseur Moritz Franz Beichl inszeniert den Klassiker für die Jugend – unbedingt sehenswert.

Eine Bühne wie ein Parcours. Im Vordergrund schnitzen Woyzeck und sein Freund Andres ein paar Äste. Hinter ihnen wuchert eine von Bühnenbildnerin Ute Radler kreierte zerklüftete Landschaft aus gestapelten Steinen, Militär-Hochsitz, Laufsteg und Arztlabor. Und erst einmal singen alle einen Song. „Into the Void“ glänzt mit finsterem Bass und einer hübschen Indie-Melodie. Regisseur Moritz Franz Beichl und Dramaturgin Stanislava Jević haben eine eigene Fassung des Büchner-Klassikers für die Inszenierung „Subjekt Woyzeck (into the void)“ am Jungen Schauspielhaus erstellt.

Das Kluge daran ist, dass sie noch sehr viele jener Büchner-Sätze für die Ewigkeit enthält („Der Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt Einem, wenn man hinunterschaut“). Zugleich aber schärft sie den Fokus mit wenigen kleinen Verschiebungen. Der Rolle der Marie räumt sie deutlich mehr Raum ein. Zu Beginn sieht man sie, stolz und selbstbehauptend gespielt von der lebhaften Alicja Rosinski, im Kreis der fragilen Familie mit Woyzeck und dem gemeinsamen unehelichen Sohn. Der Soldat Woyzeck ist bei Nico-Alexander Wilhelm noch ein Hoffender, der an eine positive Zukunft glaubt. Aber die Brutalität der Verhältnisse schlägt mit aller Macht zu.

Moritz Franz Beichl macht aus „Woyzeck“ eine Glamrock-Oper

Woyzeck muss seinen schmalen Verdienst aufbessern, um die Familie zu ernähren. Dafür rasiert er den von Hermann Book zynisch gegebenen Hauptmann. Und lässt sich von einem gewissenlosen Arzt, schneidend gespielt von Christine Ochsenhofer, für Versuche missbrauchen. Nicht nur die strenge Erbsendiät, sondern auch die endlosen Demütigungen vernebeln langsam aber sicher seinen Verstand.

Regisseur Beichl macht aus dem Dramenfragment eine Art sinnliche Glamrock-Oper mit schönen dunklen Songs, komponiert von Fabian Kuss. Sie geben den Gefühlswelten der Figuren Raum, der Sensibilität Woyzecks, die sich nach und nach in Gewaltbereitschaft gegen Marie und gegen sich selbst wendet. Denn der fesche Tambourmajor, gegeben von Jara Bihler, singt einen Song mit dem Titel „Here comes Your Man“, der so verführerisch glitzert wie die lilafarbenen Stiefel und die mit Applikationen versehene Jacke.

„Woyzeck“: Christina Geigers Kostüme sind ein Hingucker

Überhaupt sind die Kostüme von Christina Geiger wahrlich ein Hingucker: Farbige Jeans, Schichtenlook, Pailletten. Die widersprüchliche Marie mag das Begehren. Auch harte Schläge, betrunkene Männer und verdünnte Suppe mag sie, wie sie sagt. Fast en passant schlittert sie in eine kurze Liaison mit dem Tambourmajor. In der Armut, dem Ausgeliefertsein der kapitalistischen Verhältnisse gerät man leicht an jemanden, der gesellschaftlichen Aufstieg verspricht. Im Patriarchat gibt es für die gelernte Schneiderin keine Freiheit, nur Abhängigkeit. Es kommt zur Tragödie, zu Frauenmord und Selbstmord.

Beichl erweitert das Geschehen um eine selbst entlarvende Szene, in der sich der Doktor und der Tambourmajor an ihrer eigenen toxischen Männlichkeit berauschen – und zugleich alles Weibliche als mangelhaft abwerten. Am Ende bleibt Severin Mauchle als Kind, Symbol künftiger Generationen, einsam am Klavier zurück.

Mit „Subjekt Woyzeck (into the void)“ liefert Moritz Franz Beichl eine schlüssige, ästhetisch sehr zeitgemäße Interpretation des Stoffes ab, die Woyzecks Verhalten nicht entschuldigt – aber den Kontext erhellt. Unbedingt sehenswert.

„Subjekt Woyzeck (into the void)“ weitere Vorstellungen 8.9., 9.9., 12.9., 11.10., 12.10., 13.10., jew. 19.00, für Jugendliche ab 14 Jahren, Junges Schauspielhaus, Wiesendamm 28, Karten unter T. 24 87 13; www.schauspielhaus.de