Die Britin Katie Mitchell inszeniert Samuel Becketts „Glückliche Tage“ im Malersaal und hat noch eine Überraschung für das Weltuntergangsszenario parat.

Hamburg. „Das deutsche Theatersystem ist großartig, weil es ein so breit gefächertes Spektrum zeigt,“ erklärt Katie Mitchell. „Das englische Theater ist altmodisch. In Deutschland genießt Kultur mehr Wertschätzung.“ Die britische Regisseurin, die nun wieder am Schauspielhaus inszeniert, zählt hier zu den stilprägenden Künstlern. Mit Intendantin Karin Beier verbindet sie eine langjährige, erfolgreiche Zusammenarbeit. 2013 hat Mitchell am Schauspielhaus eine beunruhigend schöne, rätselhaft düstere Inszenierung herausgebracht, „Alles Weitere kennen Sie aus dem Kino“. Nun nimmt sie sich Samuel Beckett vor, den irischen Nobelpreisträger, die Leitfigur des absurden Theaters, den Einzelgänger und Pessimisten, dessen Helden leiden, warten und im Nichts leben. Und die dabei komische Clowns abgeben.

„Ich habe ein sehr enges Verhältnis zu Beckett“, sagt Katie Mitchell und ihre Stimme klingt fröhlich, obwohl sie gerade krank ist. „1990 habe ich zum ersten Mal Beckett inszeniert, sein ‚Endspiel‘. Ich habe kurze Stücke von ihm an der Royal Shakespeare Company herausgebracht. Mit dem schwedischen Schauspieler Erland Josephson konnte ich in Stockholm ‚Das letzte Band‘ inszenieren, und in Irland habe ich auch Beckett inszeniert. Nie aber konnte ich bei ‚Glückliche Tage‘ Regie führen, obwohl das mein Lieblingsstück ist. Ich habe 20 Jahre darauf gewartet und Karin Beier hat mir nun endlich die Chance gegeben.“

Katie Mitchell sagt, dass sie an „Glückliche Tage“ interessiert, wie es Winnie gelingt, mit ihrer Situation zurechtzukommen, sich anzupassen. Winnie und Willie – sie hockt als Torso nicht mit einem Bein im Grab, aber mit beiden im Hügel, er haust hinter dem Hügel weitgehend stumm in ihrem Rücken – ist das auch die Geschichte eines alternden Paares? Immer noch zusammen, aber weit auseinander lebend. „Das Stück bietet nur wenig Action“, erklärt Katie Mitchell, „dafür gibt es unfassbar viele psychologische Details. Es geht um eine Beziehung, eine Ehe, die am Ende ist. Und das auch noch mitten im Weltuntergang. Winnie und Willie sind die letzten Überlebenden. Und dafür habe ich eine Idee verwirklicht, die noch eine Überraschung bleiben soll. Sie werden über die Ausstattung staunen!“ Katie Mitchell wirkt begeisterungsfähig, lacht viel.

Sie entwickelt dann die Überlegung weiter, die Beckett bereits für sein Stück hatte, indem er eine Frau zur Hauptfigur machte. „Nur eine Frau kann mit solch einer Situation fertig werden, bis zur Hüfte eingegraben zu sein und trotzdem fröhlich weiter zu machen.“ Winnie passt sich an, beherrscht sich. Willie und Winnie haben unterschiedliche Überlebensstrategien. Der Mann zieht sich in sich selbst zurück. Die Frau versucht, mit allem, was um sie herum passiert, normal umzugehen. „Winnie versucht sich selbst zu belügen, wenn sie dem Horror, dem Tod entgegenblickt. Aber dann reißt sie sich zusammen und versucht, es zu meistern. Ihre Gefühle wechseln zwischen Wut, Verzweiflung und Akzeptieren. Wir haben lange und sehr detailliert jedes Wort, jede Situation analysiert,“ erklärt Mitchell. „Julia Wieninger spielt das wunderbar.“ Im zweiten Teil, wenn Winnie bis zum Hals eingegraben ist, werden ihre Erinnerungen fragmentarischer. „Die Angst, ihr Gedächtnis und ihre Erinnerungen zu verlieren, ist groß“, weiß Katie Mitchell. „Je schlimmer alles wird, desto optimistischer wird Winnie. Ihr Optimismus hilft ihr, zurechtzukommen. Glücklich ist jeder Tag, an dem ihr das gelingt.“

Katie Mitchell hat mit 16 Jahren an der Schule ihre erste Inszenierung übernommen, als sie Harold Pinters kaum bekanntes Hörspiel „Family Voices“ (Familienstimmen) auf die Bühne brachte, darin eine Rolle übernahm und auch Klavier spielte. Sie hat in Oxford studiert und später an der Royal Shakespeare Company gearbeitet, dem Royal Court Theatre, der Royal Opera. Ihre bevorzugten Theaterautoren sind die alten Griechen, Tschechow und Strindberg. Inspirieren ließ sie sich unter anderem von der Choreografin Pina Bausch. Irgendwann hat sie sich entschlossen, dass sie das „Mainstream“-Theater, also ein Theater, das Szene für Szene, Wort für Wort ein Stück erzählt, langweilt. Sie hat angefangen, die Bühne als Filmset zu nutzen, hat historische Figuren, Fakten und Situationen zum Stück hinzuerfunden. Und Fragmente aus Licht, Musik, Text. Sie interpretiert Stücke, auch die Emotionen der Figuren. So entsteht nicht nur ein Zitatgewitter, sondern auch ein lebendiges Kunstwerk. Sie sagt, es sei, „als würde man ein kubistisches Gemälde von Picasso anschauen, bei dem man die verschiedenen Seiten eines Gesichtes auf einmal sehen kann“.

Katie Mitchell liebt das deutsche Theater. „Ich bin ganz aufgeregt, dass Christoph Marthaler auch gerade am Schauspielhaus probt. Da schleiche ich mich manchmal rein.“ Mitchell arbeitet seit vielen Jahren mit Karin Beier zusammen. Als junge Regisseurinnen sind sie einander in Stockholm begegnet. „Wir sind eng befreundet“, sagt sie. „Es ist ein wenig anders, seit sie mein Boss ist. Karin ist eine fantastische Künstlerin und Intendantin. Sie schafft eine Atmosphäre, in der die Künstler aufblühen und den Zuschauern ihr Bestes zeigen können.“ Wir sind gespannt.

„Glückliche Tage“

Malersaal, Premiere heute, weitere Termine 14.-17. 2. ausverkauft, 13.-15.3. , Karten: 24 87 13